„Anlage, Power, Start!“

„Anlage… Anlage, Power… Power, Start… Start“. Das Display meiner Musikanlage springt an und die Musik erklingt. Wenig später klingelt das Telefon. Mit einem Wort unterbreche ich die Musik und gehe mit einem Zweiten ans Telefon. Wieder werden meine Worte von der Frauenstimme kopiert

Der kleine graue Kasten neben meinem Bett ist eine Sprachumfeldsteuerung. Seit sieben Jahren macht meine unsichtbare Hand, zumindest teilweise, was den technischen Rahmen betrifft, das was ich nicht kann. Das Telefon klingelt also und mit einem weiteren Wort habe ich den roten Knopf der Lautsprechanlage aktiviert. Mein Sprachcomputer geht in den Schlafmodus mit den Worten „Einschlafen, Aufwachen“. Wenn ich Besuch bekomme, der mich nicht oder noch nicht so lange kennt, höre ich oftmals die Frage: „Mit wem sprichst du?“, bevor der Raum betreten wird. Es ist manchmal schon paradox, sozusagen mit sich selbst zu reden und daraufhin andere Gegenstände in Betrieb zu versetzen. Das ist auf eine sehr praktische Art ein wenig verrückt. Ich erkläre dann durch Vorführen meiner Musikanlage das Prinzip meiner Umfeldsteuerung und sie, meine Besucher, reagieren erstaunt und mit dem Versuch ebenfalls mit meiner Umfeldsteuerung zu kommunizieren und die Musikanlage in Betrieb zu nehmen. Was aber nicht oft funktioniert. Ich rede mit meiner Freundin. Plötzlich sagt der Computer „Aufwachen, Wählen“ und wählt eine andere Nummer. Dann beendet er das Gespräch mit den Worten „Ende, Auflegen“. Der Freisprechknopf leuchtet nicht mehr rot, das Gespräch ist beendet. Mühsam diktiere ich ihm die Nummer und versuche daran zu denken, wie es früher war, als eine Hand mir den Hörer halten musste. Eine Hand, die zu einer Person gehört. Diese Person hat alles mitbekommen, Ärger, Liebeskummer, Freude. Ich denke an den Versuch, die Hand, die den Hörer hält, durch eine Kissenkonstruktion zu ersetzen, bei der ich mich dann nicht bewegen durfte, damit mein Gesprächpartner mir nicht vom Ohr herunterrutscht. Ich atme und schließlich gelingt es meiner Stimme die Zahlen der Telefonnummer meiner Freundin so ruhig zu wiederholen, dass der Computer sie ebenfalls wiederholt und einspeichert. Jetzt gelingt es uns, unser Gespräch ohne Störung fortzusetzen. Auch werden die Gespräche oftmals nicht nur abgebrochen, wenn es meinem Sprachcomputer beliebt, sondern er ruft auch manchmal fremde Nummern an, ohne dass ich darüber entscheiden kann, ob ich mit dieser Person sprechen möchte oder nicht. Darunter auch Fantasiennummer, die der Computer sich aus Räuspern, Lachen und Putzgeräuschen beim Aufräumen meines Zimmers zusammengereimt hat und plötzlich aus heiterem Himmel anruft. Ich entscheide mich dafür, ein wenig fern zu schauen. Auch das kann ich mit meiner Stimme über Infrarotstrahlen alleine tun. Der Fernseher gehorcht mir aufs Wort und ich kann alleine, ohne meine Assistentin bitten zu müssen, fernsehen. Als ich meinen Sprachcomputer bekam, musste ich ihm zehn Mal Alice im Wunderland vorlesen und vierzig Mal Befehle trainieren, wie „Radio, Power, Start“, damit er sich mein Stimmprofil merken konnte. Als Kind hat meine Mutter, immer wenn ich sie genervt habe, gesagt: „Anton, geh doch mal zu Marie. Mach das doch mal für sie.“ Fast 18 Jahre später habe ich meinen Anton bekommen, der mich durch unsichtbare Lichtstrahlen wenigstens einen Teil meines Alltags selbst gestalten lässt. Auch habe ich ein Spracherkennungsprogramm für den Computer, mit dem ich durch mühsames Eindiktieren alleine schreiben kann. Das Spracherkennungsprogramm ist aber schwerer von Begriff als meine Sprachumfeldsteuerung. So versteht es zum Beispiel, wenn man sich räuspert oder husten muss, oftmals sehr lustige Wortkombinationen, wie „Der Rentenkredit ist zu lang“. Diese lustigen Texte ergeben sich daher, dass so genannte Spracherkennungsprogramme oftmals für das Management eingesetzt werden und ganz besonders auf dieses Vokabular spezialisiert sind. Einen literarischen Text oder gar ein Liebesbrief zu schreiben, ist damit eine echte Herausforderung. Mit seiner Kollegin, der Sprachumfeldsteuerung, habe ich mittlerweile einen guten Umgangston gefunden. Mein Sprachcomputer ist ein Teil meines Lebens geworden, mein unsichtbarer Anton. Seine Hand, die mir den Fernseher, das Telefon oder die Musikanlage bedient. Nur beim Putzen oder bei Gesprächen mischt er sich manchmal ein und dann wird durch ein stühlerücken schon mal der Raum von Musik erschallt oder der Fernseher dunkel, weil mein Assistent lachen muss. Aber mein Sprachcomputer, der übrigens eine weibliche Stimme hat, bekommt für mich dadurch auf eine Weise auch etwas Menschliches und wird sozusagen zum stummen Diener Anton aus meiner kindlichen Vorstellung. Ich habe mich an dem Tag der Lieferung meines Sprachumfeldsteuerungssystem gefühlt, als wäre Weihnachten und mein Geburtstag auf einen Tag gefallen. Ich habe dieses Gefühl, auch wenn es etwas pathetisch klingt, immer noch jeden Morgen, wenn ich aufwache, um mir zum langsamen Start in den Tag ganz alleine nur durch meine Stimme, Musik anzumachen.
_Nun ist dieser Artikel fertig diktiert: „Datei speichern! Programm… KLICK… Schließen! Beenden.“_

Marie Gronwald

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