Simone de Beauvoir: Ein sanfter Tod

Simone de Beauvoir, Schriftstellerin, Philosophin, Feministin, ist wohl vor allem für ihr 1949 erschienenes Buch „Das andere Geschlecht“ bekannt, welches als ein Meilenstein feministischer Literatur gilt. Weniger bekannt ist ihre Auseinandersetzung mit den Themen Altern und Tod wie im vorliegenden Werk.

Bei einem Sturz im Badezimmer zieht sich Simones Mutter einen Bruch des Schenkelhalsknochens zu. Dieser muss operativ im Krankenhaus behandelt werden. Dort wird eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung festgestellt. Ausgerechnet Krebs, vor dem die Mutter schon immer Angst gehabt hatte. Doch diese erfährt nichts von ihrer Erkrankung. Simone und ihre Schwester erzählen ihr
von einer Bauchfellentzündung, von der sie schon bald wieder geheilt sein würde. Die Ärzte tun alles, um den Tod hinauszuzögern. Die beiden Schwestern halten eigentlich nicht viel von dieser Behandlung, wünschen, dass das Leben ihrer Mutter bald beendet wäre („Wozu die Sonde; warum soll Mutter gequält werden, wenn doch keine Hoffnung mehr ist?“). Die alte Dame jedoch findet Gefallen an ihrem Leben als Patientin, die nur noch für sich selbst leben möchte und sich gerne bedienen lässt. Sie ärgert sich über jede mit Schlaf „vergeudete“ Minute ihres Lebens. Simone de Beauvoir ihrerseits gelingt es während dieser Zeit, sich über das Verhältnis zu ihrer Mutter klar zu werden und sich ihr zu nähern und Fehler im Umgang mit ihr zu bereuen. Dabei bleibt ihr am Ende fast zu wenig Zeit. Der schlussendliche („sanfte“) Tod, der Buchtitel sagt es bereits, überrascht sie geradezu. Den Tod hält sie für einen Unfall, einen Gewaltakt. Er ist für sie durch seine Anwesenheit die Infragestellung der Welt.

Ohne die Zeit des Sterbens hätte Simone de Beauvoir keine Zeit für den beschriebenen Prozess der Annäherung an ihre Mutter gehabt. Wären die Ärzte ihrem Willen gefolgt und hätten die notwendigen Behandlungen unterlassen, hätte es keinen Anlass gegeben, sich mit der Person der Mutter, ihrem Leben und der Beziehung zu ihr auseinander zu setzen.

Simone de Beauvoir, Ein sanfter Tod, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1965

von Jan Plöger

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