Vorspiel vor der Himmelstür

Dunkelheit. Weihrauchgestank. Aus der Ferne sind Posaunen zu hören. Bööööödöööö! Böööödöööö! Dann: Ein Dämmern. Ein diffuses, bleiches Licht breitet sich aus wie das Bleigrau eines Wintermorgens. Es erstrahlt aus einem leeren, grauen Firmament und beleuchtet eine ebenso leere, ebenso graue Fläche, glatt und endlos. Auf dieser Fläche liegen zwei nackte, alte Männer. Mumienhaft dürr und vertrocknet ist der eine, der andere von feister Schwammigkeit. Der Dürre schlägt zuerst die Augen auf. „Hä? Wat is’n jetzt los?“
Er blinzelt ein paarmal irritiert, dann richtet er sich auf. „Ey, dit is unfair! Was soll’n ditte?”
Er sieht an sich hinab, bewegt vorsichtig Hände und Füße. „Mist, verdammter!“
Harald Juhnke kann es nicht fassen. Was soll man denn noch alles tun, damit sie einen endlich in Ruhe lassen? All die Saufgelage, all diese grässlichen Abstürze – aber weder hatte seine Leber den Kampf aufgeben wollen, noch die Fernsehnation ihre Liebe zu ihm. Dabei hatte er sich doch nichts mehr gewünscht als das: Endlich
Ruhe! Nicht mal, als er dann seinem Gehirn mit vier Flaschen Wodka den Garaus machte, um fortan sabbernd im Rollstuhl zu sitzen – nicht mal da hatten sie aufgehört ihn zu fotografieren und auf Titelseiten zu setzen. Zum Kotzen! Und dann beschließt man einfach zu sterben, aber was passiert? Man wacht auf. Unfassbar. Wo bin ich hier eigentlich?
Harald Juhnke sieht sich um. Graue Fläche, grauer Himmel, keine Horizonte. Ein Sinnbild ewiger Nüchternheit. So sieht sie also aus, die Säuferhölle. Na, klasse.
„Haaalloooo? Haaaaaalloooooooo?“
Keine Antwort. Kein Drink. Verflucht. Harald Juhnke steht vorsichtig auf, dreht sich um und zuckt unwillkürlich zusammen, als er den anderen nackten, alten Mann hinter sich entdeckt. Huaaah! Noch einer? Das Gesicht kommt ihm vage bekannt vor.
„Hey, du! Aufwachen!“
Vorsichtig tippt er den Dicken mit der Fußspitze an. Der schlägt die
Augen auf, erblickt den über ihn gebeugten Juhnke und quiekt verzückt:
„Mein Herr Jesus!“
„Nee, Harald. Und wer bist du?“
„Äh … Karol.“
„Tach schön.“
Der Papst setzt sich auf, erschrickt beim Anblick seiner nackten, schrumpeligen Männlichkeit und faltet schnell die Hände im Schoß. Juhnke lacht.
„Na, aber! Brauchst dir doch nich zu schämen, Kalle. Keene Mädels
hier. Hier is überhaupt nüscht. Sach an, Kalle: Wo sind wa hier jelandet,
wat meenste?“
„Im Himmel, wo sonst? Hosianna! Hosianna!“
„Ach komm, Kalle! Jetzt schau dir doch ma um! Wenn dit der Himmel
is, dann bin ick n Engelken!“
Karol blickt sich um, runzelt irritiert die Stirn und blickt sich sicherheitshalber
noch mal um, falls er eben was übersehen haben sollte.
„Da kannste ewig kieken. Hier is nüscht außer uns.“
„A … aber das muss der Himmel sein. Ich bin schließlich der Papst.
Hosianna! Hosianna!“
„Ach daher kam mir dein Jesicht so bekannt vor. Is ja n Ding.“
„Und Ihr, lieber Harald, seid Ihr Priester?“
„Nee, ick bin Säufer.“
„Jesusmaria! Wie seid Ihr denn dann hierher gekommen? Ihr müsst
auch etwas wirklich Großes geleistet haben.“
„Icke? Na, vielleicht als schlechtet Beispiel. Höhöhö.“
„Aber habt Ihr denn nicht wenigstens den Namen des Herrn …..“
„Nu mach ma halblang, Kalle. Nüscht hab ick jemacht. Nur jesoffen und den lieben Gott n juten Mann sein lassen. Und ick fühl mir deswejen auch nich schuldig. Keene Ahnung, warum ick so viel jesoffen hab. Stoffwechselkrankheit vielleicht. Oder Psyche. Wat ausse Kindheit. Keene Ahnung. Bin ick nie hinterjekommen. Hab trotzdem versucht dit beste draus zu machen. Zweidrei von denen Filmen war’n janz jut, gloob ick. Mit Gott hatten die aber ooch nix zu tun …“
Der Papst verfällt in einen weihevollen Singsang: „Herr im Himmel, vergib diesem armen Süüüüüünder! Lasse ihn nicht schmoren im Höööööllenfeuer, auf dass seine Seele verdaaaaaammt sei! Sondern erlöse ihn von dem Böööööösen! Denn dein ist die Kraft und die Heeeeeeerrlichkeit in Eeeeeewigkeit! Aaaaaamen!“
„Sach ma Kalle, wenn du so’n juten Draht hast, kannste nich noch um n Drink für mich beten? Ick hab schon wieder so’n schlimmen Durst ….“
„Oh Herr, überhöre diese seine Wooooooorte! Er wandelt im Dunklen und weiß nicht was er saaaaaagt! Erbarme dich seiner und führe ihn zurück auf den rechten Pfaaaad! Denn dein ist die Kraft und die Heeeeerrlich ….“
„KAROL WOYTILA! SCHWEIG!“, donnert es in diesem Moment von irgendwo oben. Beide zucken zusammen und starren elektrisiert in das blassgraue Firmament. Der Papst fasst sich als Erster: „Herr, hier bin ich! Dein Diener ist heimgekehrt! Halleluja! Hosianna! Hosian…“
„DU SOLLST SCHWEIGEN, KAROL WOYTILA!“
„Ja, Herr! Ich höre dein Wort und gehorche! Ich dein untertäniger…“
„SCHWEIG ENDLICH!“
Bibbernd sinkt der Papst auf die Knie.
„NUN ZU DIR, HARALD! ICH WILL DICH TESTEN!“
„Hoffentlich nich die Leber, höhöhö! Tschuldigung, war nur’n kleener Spaß. Nüscht für unjut.“
„DEINEN GLAUBEN WILL ICH TESTEN!“
Juhnke hatte so was schon befürchtet. Wenn nur dieses Durstgefühl nicht wäre. Unerträglich. Welch ein Alptraum. Wahrscheinlich bin ich noch gar nicht tot. Das hier muss immer noch das Delirium sein ….
„Dann mach mal hinne, Herr! Ick hab Durst!“
„GLAUBST DU, DASS ICH EINST DIE MENSCHEN AUS DEM PARADIES
VERTRIEB, WEIL SIE MIR EINEN APFEL STAHLEN? GLAUBST DU, DASS ICH SODOM UND GOMORRA MIT BLITZEN ZERSCHLUG, WEIL DIE LEUTE DORT UNZUCHT TRIEBEN, DASS ICH DIE MENSCHHEIT HERNACH MIT EINER SINTFLUT ERSÄUFTE, UND DASS ICH MEINEN EIGENEN SOHN VON EUCH ANS KREUZ NAGELN LIESS?“
„Äh … nö … ick …“
Bevor Juhnke noch etwas über Verhältnismäßigkeiten sagen kann, fällt ihm schon der Papst ins Wort: „Ja Herr! Ich glaube es! Es ist alles wahr! Hosianna! Hosianna!“
„KAROL WOYTILA! HÄLTST DU MICH FÜR EINEN PARANOIDEN WAHNSINNIGEN? NIEMAND MACHT SO VIEL ÄRGER WEGEN EINES BEKLOPPTEN APFELS! NIEMAND SCHLEUDERT BLITZE WEGEN EIN BISSCHEN ANALSEX! UND NIEMAND LÄSST SEINEN EIGENEN SOHN ZU TODE FOLTERN!“
„A … aber, Herr!“
„SCHWEIG, KAROL WOYTILA! HARALD, DIE ANTWORT WAR RICHTIG. NÄCHSTE FRAGE: GLAUBST DU AN DIE UNBEFLECKTE EMPFÄNGNIS UND DIE JUNGFRÄULICHKEIT MARIAS?“
„Natürlich nich. Ick kann nur sajen …..“
Abermals ist der Papst aufgesprungen: „Aber ich, Herr! Ich glaube daran! Halleluja! Hosian …“
„KAROL WOYTILA! JETZT SCLÄGTS DREIZEHN! SO KOMPLIZIERT IST DAS DOCH GAR NICHT MIT DER BIOLOGIE! DASS IHR MEINE SCHÖNE QUANTENMECHANIK NOCH NICHT KAPIERT, OK. ABER DAS MIT DER FORTPFLANZUNG HAB ICH DOCH WIRKLICH SIMPEL GENUG GESCHAFFEN! DAS MIT PIPIMANN UND MUMU, DAS KAPIERT DOCH JEDER VIERZEHNJÄHRIGE! WIE BLÖD BIST DU EIGENTLICH?“
„Aber Herr …“
„SCHWEIG ENDLICH! DEINE ANTWORT WAR RICHTIG, HARALD. LETZTE FRAGE: GLAUBST DU AN DEN SINN DES LEBENS?“
„Nö, hab ick nie entdecken können. Vielleicht hab ick ja deswejen immer saufen müssen. Hab mir immer jedacht: Wat soll’s? Is ja doch allet sinnlos ….“
In diesem Moment erschallt ein donnerndes Gelächter. Die blassgraue Ebene bebt. Im blassgrauen Firmament tut sich ein leuchtendes Tor auf. Ein überaus verwirrter Juhnke wird in die Höhe gerissen und durch das Tor gesogen, das hinter ihm wieder zufällt. Ein noch verwirrterer Papst bleibt zurück. Leise kann er noch Gottes Stimme in der Ferne hören:
„GEHT MIR AUCH OFT SO, HARALD. WIRKLICH, KONNTE SELBER NOCH KEINEN SINN ENTDECKEN. UND INZWISCHEN FINDE ICH DAS ALLES AUCH ZIEMLICH LANGWEILIG. KOMM MIT. ICH HAB NOCH EIN FLÄSCHCHEN MALT-WHISKY. 125 JAHRE ALT. DAS KRIEGSTE BEI EUCH DA UNTEN ÜBERHAUPT NICHT ….“
Das Gläserklirren verklingt. Es ist wieder still geworden. Unter einem blassgrauen Firmament steht ein nackter, einsamer Papst auf einer endlosen, blassgrauen Ebene.
„Hallo? Haaaallooooo?“

Markus Liske

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