»Im Geist isoliert« — Behindertenfeindlichkeit bei der AfD und in der taz

Rechtspopulisten verfügen über ein schlichtes, aber wirksames Mittel der Propaganda. Sie äußern sich feindselig und rassistisch, beispielsweise über Minderheiten. Nimmt dann die Gesellschaft dies widerstandslos hin, haben sie ihrer Ideologie einmal mehr den Anschein von Selbstverständlichkeit und Normalität gegeben; empört sich die Öffentlichkeit, dann erhalten sie jede Menge kostenloser politischer Reklame durch die Medien, die ihre Ansichten wieder und wieder zitieren. Manchmal behaupten sie, böswillig missverstanden worden zu sein oder sie entschuldigen sich sogar, aber nur, um bald darauf etwas noch Widerwärtigeres von sich zu geben. Und selbst unter denjenigen, die ihnen nicht Beifall klatschen, sind doch etliche, die ihrem Gebaren mit einer Mischung aus Faszination und Gruseln folgen. Von dieser Technik hat vor Jahren etwa der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin routinemäßig Gebrauch gemacht, heute wird sie regelmäßig von der AfD eingesetzt, deren einflussreiche Parteiströmungen sich aus Rechtskonservativen und Faschisten zusammensetzen.

Die Besonderheit dieser Partei wird ebenso unterschätzt wie übertrieben. Unterschätzt wird sie überall dort, wo man die AfD für eine gewöhnliche Partei ansieht, mit deren Ideologen man »reden« müsse, und nichts dabei findet, dass einer ihrer Flügel als »völkisch« bezeichnet wird, obwohl dieser Begriff klar aus dem faschistischen Arsenal kommt. Dagegen wird die Besonderheit der Partei übertrieben, wenn man so tut, als sammele sich alles Reaktionäre einzig in der AfD. Die Abgrenzung ihr gegenüber kann die Funktion haben, ausgrenzende und feindselige Züge der Mainstreamkultur zu verdecken. Die AfD stellt zweifellos eine ernsthafte Gefahr dar, aber auch ohne sie wäre die Gesellschaft längst nicht in Ordnung.

Frage und Antwort

Mit ranzigen Nazitypen mag wirklich keiner kuscheln. Die obsessive Behindertenfeindlichkeit der AfD erklärt dies jedoch nicht.

Dies lässt sich an einem Beispiel zeigen. Im März 2018 stellten Mitglieder der AfD-Bundestagsfraktion eine kleine Anfrage an die Bundesregierung über »Schwerbehinderte in Deutschland«. Die Fragesteller nennen einen Anstieg der Zahl der Menschen mit Schwerbehindertenausweis um 0,9 Prozent zwischen 2013 und 2015; anschließend verweisen sie auf Medienberichte zu sogenannten Verwandtenehen in türkischen und arabischen Familien. Im Text heißt es: »Behinderungen entstehen u.a. durch Heiraten in der Familie. […] Eine britische Studie kam zu dem Schluss, das [sic!] 60 Prozent der Todesfälle hätten vermieten [sic!] werden können, ›wenn die Inzucht beendet würde.‹« Die Abgeordneten fragen nach den Ursachen für Schwerbehinderung und diesbezüglichen Veränderungen seit 2012, nach der »Zahl der Behinderten […], insbesondere die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen« sowie nach deren Migrationshintergrund und Staatsbürgerschaft.

In ihrer Antwort weist die Bundesregierung darauf hin, dass Schwerbehinderung vor allem mit dem hohen Alter verbunden ist, während die vergleichsweise wenigen angeborenen Beeinträchtigungen rückläufig sind. (Es wäre eine interessante, aber hier nicht zu klärende Frage, ob dieser Rückgang etwas zu tun hat mit der Anwendung von Pränataldiagnostik.) Die Zahlen zeigen zudem keinen ungewöhnlichen Anstieg von Beeinträchtigungen unter »Nichtdeutschen«. Von ihnen sind 4,9 Prozent als »schwerbehindert« anerkannt, bei »Deutschen« sind es doppelt so viele.

Mythos »Verwandtenehe«

Zur Nationalität der Eltern behinderter Kinder erhebt die Bundesregierung keine Angaben. Ehen zwischen Cousinen und Cousins 1. und 2. Grades sind in der Bundesrepublik wie auch in den meisten Ländern der Welt erlaubt. Sie sind eine keineswegs nur im arabischen Raum und nicht nur in der muslimischen Bevölkerung verbreitete Heiratspraxis, die unter anderem dazu dienen soll, das Vermögen der Familie zu sichern und den Zusammenhalt zu stärken, insbesondere in Ländern, in denen die Familie das einzige soziale Sicherungssystem ist. Bei Ehen zwischen Vettern und Basen, die in den meisten Ländern der Welt legal sind, auch in der Bundesrepublik, handelt es sich nicht um Inzest, da dieser Begriff sich auf sexuelle Beziehungen zwischen engsten Verwandten bezieht; man spricht stattdessen von Konsanguinität.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder konsanguiner Eltern mit Beeinträchtigungen geboren werden, ist erhöht. Je nach Studie und Verwandtschaftsgrad schwanken die Angaben zwischen zwei und sechs Prozent. Die Zahl solcher Ehen sinkt mit wachsender Qualifikation und Berufstätigkeit von Frauen und verbesserten materiellen Lebensbedingungen der Familie. Von der sogenannten Cousinenehe zu unterscheiden sind arrangierte Ehen und von diesen wiederum erzwungene Heiraten. In einem islamfeindlichen Klima, in dem muslimischen Bevölkerungsgruppen unterschiedslos alle möglichen Übel zugeschrieben werden, dürfte dieser Hinweis notwendig sein.

Rassismus und Ansteckungsängste

Das Kalkül hinter der AfD-Anfrage ist klar. Es geht darum, Flüchtlinge und muslimische Familien rassistisch zu schmähen und gleichzeitig Ängste vor Beeinträchtigungen und vor behinderten Menschen zu schüren. Die Warnung vor den angeblichen Gefahren von »Verwandtenehen« ist seit Jahren ein beliebtes Thema auf rechtsradikalen Webseiten. Die AfD legt eine genetische ›Verunreinigung‹ der Deutschen nahe. An die Angst vor der ›Masse‹ und vor Infektionen appellieren auch andere Anfragen der AfD, etwa zur »Abweisung von Frauen an Frauenhäusern« oder zu Krankheiten in Deutschland. Von solcherart gestrickten gesundheits- und behindertenpolitischen Anfragen ist es nicht weit zum Gedanken an eine nazistische Bevölkerungspolitik, worauf unter anderem eine Stellungnahme von Wohlfahrtsverbänden mit Recht hingewiesen hat.

Inklusion lehnt die AfD ab, teilweise aus Kostengründen, teilweise aus unmittelbarer Behindertenfeindlichkeit. Der Fraktionsvorsitzende im saarländischen Landtag, Josef Dörr, äußerte in einer Diskussion über inklusive Schulpolitik: »Was aber unter keinen Umständen geht, ist, dass in dem gleichen Krankenhaus oder der gleichen Abteilung dann auch Menschen sind mit übertragbaren Krankheiten, schweren ansteckenden Krankheiten. Das ist ein Bild. Aber in der Schule haben wir die gleiche Situation.« In inklusiven Schulen würden »Kinder mit Downsyndrom unterrichtet […] mit anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind«.

»Schon immer Sozialleistungen«

Bemerkenswert ist, dass die öffentliche Kritik sich ganz auf die AfD konzentrierte und die von ihr herangezogenen Quellenverweise praktisch keine Rolle spielten. Zu nennen ist hier vor allem ein Artikel aus der taz von 2011, auf den in der AfD-Anfrage verwiesen wird. Die Journalistin und ehemalige taz-Redakteurin Cigdem Akyol erzählt darin das Leben mit behinderten Kindern als Horrorstory. In der von ihr portraitierten Familie soll es gleich drei Kinder mit Beeinträchtigungen geben, die sie ebenso falsch wie verdinglichend als »Inzestkinder« bezeichnet. »Sinem Gündogdu atmet, sie zuckt manchmal, sie gibt Töne von sich […], eine Träne fließt über ihre weiche Wange. Sinem lebt ein Leben in einem krummen Körper und ist in ihrem Geist isoliert. Das Mädchen […] kann nicht aufstehen, sprechen, aktiv am Leben teilnehmen. Ihre Beine und Arme sind verbogen«. Das Elternpaar wird als rückständig, abhängig und zwischen den Zeilen als Last für die Gesellschaft dargestellt: »Im Laufe der Jahre bekommen sie drei Töchter und leben schon immer von Sozialleistungen.« Eine Mutter behinderter Kinder zu sein beschreibt der Text als schweres Schicksal, wobei Beeinträchtigungen mit gesellschaftlich verursachten Missständen vermengt werden: »Jeden Tag wäscht und füttert sie Azize, wuchtet den verdrehten Körper in den Rollstuhl. Ein mühseliger Alltag, dem viel Bürokratie im Weg steht, mit ständiger Antragstellerei und Nachweispflichten für die Krankenkasse. Natürlich bemerke sie manchmal die Grenzen ihrer Kraft, aber was soll sie tun? […] Natürlich sei es furchtbar, dass ihre Kinder nicht gesund seien. Aber schlimmer seien die Reaktionen der Familie gewesen, erzählt Seyran.«

Anders als die AfD stellt Akyol zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang mit Migration her, aber auch sie bringt die Heiratspraxis mit dem Islam in Verbindung; ähnlich ist auch die behindertenfeindliche Tendenz. Verglichen mit dem sprachlich eher bürokratisch anmutenden Text der AfD-Anfrage, fällt der reißerische und dramatisierende Ton des taz-Artikels auf, von dem große Teile für einen weiteren Beitrag auf Zeit online verwendet wurden.

taz mit Behinderung. „Mit uns“ oder eher „mit uns kann man’s ja machen“? Foto: (c) Andi Weiland | gesellschaftsbilder.de

 

»Ich darf das«

Man sollte meinen, es handele sich um eine einmalige Entgleisung der Tageszeitung, aber die Autorin durfte 2015 und 2016 mehrere Ausgaben einer »Kolumne Down« mit ähnlicher Stoßrichtung veröffentlichen. Darin macht sie ihren Bruder Deniz, der mit einem Down-Syndrom geboren wurde, zum Objekt. Ihren ersten Text, in dem sie sich an ihre Jugend und seine Geburt erinnert, lässt sie mit den Worten enden: »Auf dem Foto, welches im OP-Saal direkt nach seiner Geburt geschossen wurde, sah er auch irgendwie komisch aus […]. Irgendwie ungesund, nicht so rosig wie andere Babys. Ich meinte, er sei blau angelaufen und irgendwie machte er eine seltsame Bewegung – so, als zappele er um sein Leben«. Ein anderer Beitrag hat eine WG-Diskussion über Schwangerschaftsabbruch wegen einer befürchteten Beeinträchtigung des späteren Kindes zum Thema. Rückblickend schildert die Autorin ihre frühere Ansicht folgendermaßen: Für »Rationalität war bei mir kein Platz, nur für meine Emotionen. Ich argumentierte mit Demut, mit Bescheidenheit, mit Nächstenliebe.« Zur Begründung ihrer Meinungsänderung beruft sie sich auf eine angebliche Belastung von Frauen, die sie als unvermeidliche Folge von Beeinträchtigungen darstellt: »Es geht um die Qualen einer Mutter. Um die berechtigte Angst, was mit dem eigenen Kind geschieht, wenn man selbst nicht mehr kann. Wer kann es einer Frau verübeln, wenn sie diese Last nicht tragen kann?«.

Das Leben ihres Bruders nutzt die Journalistin, um Defizite in den Vordergrund zu rücken: »Deniz wird niemals eigenverantwortlich leben. Er wird niemals solch banale Erfahrungen machen, wie es sich anfühlt, seine Miete nicht bezahlen zu können […]. Seine Lebenserwartung ist nicht so hoch.« Sie gibt vor, über ihn zu sprechen, aber eigentlich geht es nur um sie selbst und die Funktion, die er für sie hat: »Ich sehe, was er mir als Schwester schenkt: Authentizität. […] Seine Trisomie 21 macht mich sogar glücklich, weil er uns damit immer wieder auf das Wesentliche zurückwirft. Auch wenn es nicht immer leicht ist mit seiner Behinderungen [sic!], aber ohne ihn wäre ich nicht die, die ich heute bin«. Akyol glaubt, ihre Eigenschaft als Schwester eines behinderten Bruders verleihe ihr besondere Rechte. Sie gibt vor, taub zu sein, um bei einem Besuch im Kreml den Eintritt nicht zahlen zu müssen: »Mein Körper war auch noch vollständig, sehr sogar. Da hatte ich den Einfall, einfach eine Gehörlose zu spielen. […] Ich gab komische Geräusche von mir, so, als würde ich versuchen zu sprechen – und es wirkte.« Sie glaubt allen Ernstes: »Ich darf das«.

Alle Kolumnentexte enthalten Aggressionen, die als Reflexionen präsentiert werden. Über die Motive der Autorin kann man nur spekulieren. Aber dass die als linksliberal geltende taz mehrfach solche behindertenfeindlichen Artikel druckt, ist ein Politikum. Es zeigt, dass die rechtsradikale AfD ihre Ideologie nicht im luftleeren Raum verbreitet, sondern dass sie an abwertende Überzeugungen anknüpfen kann, die weit verbreitet sind, auch bei Menschen, die glauben, dieser Partei nicht nahezustehen. Einstellungen sind allerdings keine Erklärung, sie sind vielmehr selber erklärungsbedürftig. Sie verweisen auf die Folgen einer zunehmenden ökonomischen und gesellschaftlichen Spaltung, die zu Entsolidarisierung führt und feindselige, sozialdarwinistische Einstellungen begünstigt.

 

Michael Zander

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