Oscar Pistorius, geboren 1986 in Johannesburg in Süd¬afrika, nennt sich selbst gerne den „Schnellsten auf keinen Beinen“. Bei seiner Geburt besaß er weder Wadenbeine noch die Außenseite seiner Füße. Daher wurden ihm mit elf Monaten die Gliedmaßen ab dem Unterschenkel beidseitig amputiert, und statt dessen erhielt er Prothesen. Im weiteren Lebensverlauf betrieb Pistorius viele Sportarten, hält mittlerweile als Leistungssportler in der „Behindertenklasse T43“ mehrere Weltrekorde und tritt auch erfolgreich gegen Nichtbehinderte Sportler_Innen auf Weltniveau an.
Oscar Pistorius, geboren 1986 in Johannesburg in Süd afrika, nennt sich selbst gerne den „Schnellsten auf kei nen Beinen“. Bei seiner Geburt besaß er weder Waden beine noch die Außenseite seiner Füße. Daher wurden ihm mit elf Monaten die Gliedmaßen ab dem Unterschen kel beidseitig amputiert, und statt dessen erhielt er Pro thesen. Im weiteren Lebensverlauf betrieb Pistorius viele Sportarten, hält mittlerweile als Leistungssportler in der „Behindertenklasse T43“ mehrere Weltrekorde und tritt auch erfolgreich gegen Nichtbehinderte Sportler_Innen auf Weltniveau an. Pistorius ist ein Leistungssportler durch und durch. Aber so richtig wahrhaben will das keine Berichterstattung. Die stellen lieber seine Prothesen in den Mittelpunkt. Die „High-Tech-Carbonfüße“ (Bild) würden das schier unmög liche möglich machen: dass ein „Mensch ohne Beine“ so schnell wäre, dass er gar die Olympia-Qualifizierungs normen (45,95 Sekunden) sprinten könnte. Pistorius‘ per sönliche Bestzeit waren 46,25 Sekunden. Im Rahmen medialer und juristischer Auseinanderset zungen ging es 2007-2008 zeitweilig hoch her, ehe Pistorius schließlich vom Internationalen Sportgerichts hof CAS das formale Teilnahmerecht an den Leichtath letik-Wettkämpfen und den Olympischen Spielen 2008 für nichtbehinderte Sportler_Innen zugesprochen wurde. Die Olympia-Qualifizierungsnormen schaffte er jedoch im entscheidenden Sprint nicht, ganz einfach weil er einen Bootsunfall drei Wochen zuvor hatte und es ihm daher am Training mangelte. Ein Großteil der Furore machte das Gutachten eines Bio mechanikers aus. Dieses unterstellte Pistorius, dass er dank seiner Prothesen mehr erreichen könnte als Men schen ohne Prothesen. Dies wären also unzulässige tech nische Hilfsmittel. Das ist recht beeindruckend: Hier wird einem Menschen, der als ‚behindert‘ gilt – auch wenn er sich selbst explizit nicht so definiert – vorgeworfen, er hätte einen unfairen Vorteil gegenüber Nichtbehinder ten Menschen. Damit wird die Debatte um Behinderung und Technologien auf ein neues Niveau gehoben. Aber eines, dass sich in dem Umgang mit „Human Enhance ment“ bereits vorher abzeichnete. Als „Human Enhancement“ (etwa: „Verbesserung des Menschen“) gilt die technologische Möglichkeit, die Lei stungsfähigkeit des Körpers über das ‚Normalmaß‘ hinaus zu steigern. Das umfasst den gezielten Einsatz von Medi kamenten, um die physische, die Konzentrations- oder die Denkfähigkeit zu steigern Klassischerweise wird das „Doping“ genannt. Mittlerweile wird viel tiefer in den Kör per eingegriffen, weil die Verwendung technisch fortge schrittener Implantate oder die Möglichkeit einer „gene tischen Optimierung“ des Embryos angewandt werden kann. Über diese Möglichkeiten wird in der akademischen Welt und insbesondere in der politischen Bewegung des „Transhumanismus“ beherzt gestritten – so umsetzbar wie gewünscht sind die Ideen aber noch nicht. Ob sie es je sein werden, ist auch alles andere als klar. Das Motiv, mehr und mehr Leistung zu verlangen, wird hier jedoch nicht wirklich diskutiert – genauso wenig wie das ‚Normalmaß‘. Was als ‚normal‘ gilt, muss ja gar nicht groß hinterfragt werden. Und behinderte Menschen wür den von Fortschritten im Enhancement nur profitieren, könnte doch all ihr Leiden und trauriges Dasein durch ein paar gezielte Eingriffe in den Körper überwunden wer den. So ist zumindest die Wahrnehmung einiger Trans humanist_Innen. Wer jetzt meint, dass dies die gesellschaftlichen Barrieren für Menschen, deren Körper von der Norm abweichen, völlig ausblendet – die_der hat leider recht. Aber das inte ressiert die sehr fortschrittsgläubigen Akteur_Innen eher selten. Immerhin sind sie aber noch in der Minderheit, ein Großteil der Gesellschaft lehnt nach wie vor Eingriffe in die „Natur“ des menschlichen Körpers ab. So funktioniert denn auch der Angriff gegen Pistorius. Er wird zum „Cyborg“, einem Menschen mit Maschinen teilen gemacht – ein Begriff, der für die meisten immer noch eher mit Schrecken und Terror á la Terminator ver bunden ist (wobei der übrigens kein Cyborg, sondern ein Androide – ein Roboter mit menschlichem Antlitz – war). Nachdem jahrzehntelang behinderte Individuen darum gekämpft haben, endlich als Menschen mit vollem Subjektstatus anerkannt zu werden, wird nun mit der „Mensch-Maschine“ (Welt Online) eine neue Variante der Entmenschlichung eingeführt. Dabei wird mit zwei erlei Maß gemessen, denn viele Sportler_Innen auf die sem Niveau erhalten leistungssteigernde Medikamente, speziell designte Kleidung, Operationen. Doch erst im Umgang mit einem als ‚behindert‘ defi nierten Menschen wird dieses „Techno-Doping“ zum Problem. Anscheinend wird hier die bisherige Zweiteilung „ich normal – der behindert“ in Frage gestellt. Vielleicht offenbart dies, dass die scheinbar offensichtliche „Nor malität“ eben doch nur durch Abgrenzung von anderen konstruiert werden kann. Nur zum Verständnis: Technologien können hilfreich sein. Und ein technologisch veränderter Körper sollte genauso Teil der Identität sein dürfen wie ein unveränderter. Pisto rius musste sich dieses Recht erst vorm CAS erkämpfen (wenn dieser auch nicht über eine grundsätzliche Zulas sung von Prothesen urteilen wollte). Es besteht die Gefahr, dass durch den Fokus auf technolo gische Körpermodifikation die gesellschaftlichen Zustände nicht mehr beachtet werden. Wenn bereits in Embryos die genetische Disposition zur Hörbeeinträchtigung ausge schlossen wird, müssen keine sprachlichen Minderheiten inkludiert werden. Diejenigen, die diese Modifikationen nicht wollen oder, was viel wahrscheinlicher ist, sie sich nicht leisten können, dürften in der durchökonomisier ten Gesellschaft eh kein Gewicht haben. Die Berichter stattung zeigt, dass wir in der Debatte um Technologie in einem Umbruch sind. Die Gesellschaft muss dringend einen für alle gleichermaßen akzeptablen Weg zu finden – einen, der sich nicht an der Leistungsfähigkeit des Indi viduums orientiert.