Wie man so redet

Wenn Sie einen Behinderten sehen, wie reden Sie da eigentlich über den? Sagen Sie: „Der Behinderte da vorne“ oder versuchen Sie so weit möglich den Begriff Behinderter ganz und gar zu vermeiden? Wechseln Sie sogar beim Reden über Behinderte in die Fremdsprache und reden von der gehandicapten Person oder von dem marginalisierten Individuum – und da haben Sie nun zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn den Begriff Mensch haben Sie jetzt auch vermieden. Behinderte sind ja keine vollwertigen Menschen!
Wenn Sie dann noch an der Universität Erfurt etwa Sonderpädagogik studieren, dann haben Sie Ihr Examen so gut wie in der Tasche. Dann nämlich benutzen Sie eine People First Language und die wird von den Sonderpädagogen in Erfurt ausnahmslos eingefordert. Diese Fremdsprache, die sich wohl an das Englische anlehnt, ist dann aber wohl doch ein eigenes kunstvolles Sprachenkonstrukt. People First sprechen heißt, dass der Mensch zuerst kommt – und dann erst die Behinderung. Da nützt es auch nichts, wenn die Behinderung einen Großteil Deines Tagesablaufs bestimmt, zuerst kommst Du als Mensch. Vergiss Deine Schmerzen, vergiss Deine verkrüppelte Gangart, vergiss Deine Lähmung, vergiss Dein an Maschinen festgezurrtes
schwerstmehrfachbehindertes Leben: Du bist Mensch und das ganz, ganz, ganz zuerst! Die Behinderung kommt ganz, ganz, ganz zum Schluss und dafür finden wir auch eine sonderpädagogische Lösung – und wenn es die Endlösung ist. Den Begriff BEHINDERT gilt es nun vollends zu vermeiden, auch wenn wir etwa das Französische bemühen und der Behinderte mit infirme oder handicapé übersetzen. Wir können wirklich froh sein, dass es in der französischen Sprache den Behinderten gar nicht gibt. Ist ja auch klar. Die sprechen ja auch nicht Deutsch! Wenn von dem Behinderten gesprochen wird, so die Gelehrtenmeinung einiger renommierter sonderpädagogischer Ausbildungsstätten, dann benutzt man ein Schimpfwort und das wirkt sich in Prüfungen negativ aus.

Weiter gefasst ist ja dann auch der Begriff Ausländer eine Beleidigung oder gar ein Schimpfwort. Besser ist es doch dann von dem Menschen mit nichtdeutschen Erfahrungen zu sprechen oder der Alkoholiker heißt dann Mensch mit außergewöhnlichen Trinkerfahrungen. Aber das gibt es nicht. In den letztgenannten Bereichen werden die negativ gefärbten Schlagworte weiterhin benutzt, ohne dass sich einer drum kümmert. Genauso könnte man statt Alte oder Senioren sagen: Menschen mit mannigfaltigen Lebenserfahrungen.
Aber hat uns Behinderte eigentlich mal jemand gefragt, wie über uns gesprochen werden soll? Ich verwette meine letzten D-Mark-Münzen darauf, dass das aus den Gelehrtenkreisen noch keiner gemacht hat. Diese Gelehrten sitzen – im wahrsten Sinne des Wortes – auf ihren Leer…, oh Entschuldigung, natürlich auf ihren Lehrstühlen und bekommen von der Welt da draußen, gemeint ist die Wirklichkeit, nicht viel mit. Sie schreiben lieber Bücher, lesen ein bisschen in ihren Vorlesungen daraus vor und kennen die Behindertenproblematik nur unzureichend oder überhaupt nicht. Sie fahren auf internationale Kongresse in der ganzen Welt umher, ziehen sich Forschungsprojekte an Land und gründen Vereine, welche die Aussonderung Behinderter sozialpolitisch verhindern sollen. Und diese Aussonderungsverhinderung gelingt aber wohl nur, wenn People First gesprochen wird.
Wenn wir nun alle People First sprechen und diese ganze Behindertenkacke vermeiden, dann können doch da ganz fatale Konsequenzen für uns Behinderte hinten herauskommen. Die Frage ist dann, ob den Fachleuten aus der Sonderpädagogik das überhaupt bewusst oder ob das nicht ohnehin von denselben gewollt ist?! Wenn nämlich irgendjemand aus der großen Politik dahinter kommt, dass es den Behinderten ja gar nicht mehr gibt, sondern wir alle zuerst Menschen sind – People First –, dann können die da oben doch auch ganz einfach unsere so vehement und kraftvoll, eben mit der letzten noch verbliebenen Kraft, erkämpften (das ist sicher auch kein People First-Begriff, mir fällt nur kein besserer ein) Nachteilsausgleiche oder von engagierten Sonderpädagogen abwertend so genannten Vergünstigungen streichen. Das sind dann so Maßnahmen, wie der Schwerbehindertenausweis, die kostenlos zugestellte Wertmarke dafür, die Genehmigung zum Parken auf Behindertenparkplätzen oder Ähnliches. Systemsprenger – und das ist jetzt hoffentlich korrekt People First gesprochen – sind ja heutzutage ohnehin schon viel zu selbstständig und leben viel zu selbstbestimmt. Wo könnten die diese Menschen so umfangreich betüddelnden Sonderpädagogen denn dann noch in der gebotenen Ruhe ihr Beamtendasein ausleben, wenn die Behinderten ihr Leben selber meistern könnten? Dann wäre ja alles umsonst!

Wie spricht man nun also richtig, um beruflich erfolgreich zu sein? In einer Vorlesung über Autismus an der Fachhochschule Dortmund habe ich gehört, dass es strengstens verboten ist über Autisten zu reden. Der Autist ist hier, so die Vorlesende, als Mensch mit Autismus zu bezeichnen. Warum? Na weil der Mensch zuerst kommt. Oder man sagt: Der Mensch mit autistischen Zügen. Und an der Tür dieser professoralen Hoheit können wir dann lesen, dass hier – neudeutsch -‚Inclusion und Diversity Studies’ gelehrt und gemacht wird. Die Vielfalt ist entscheidend. Und da passt der Behinderte eben nun mal nicht rein. Deshalb benutzen die sonderpädagogischen Exzellenzen auch so schwammige Begriffe oder – auch wieder neudeutsch – Termini technici, wie ‚der Mensch mit Behinderung’ anstatt ‚der Behinderte’, ‚der Mensch mit besonderen kognitiven Fähigkeiten’ anstatt ‚der Geistigbehinderte’ oder ‚der Mensch mit Lernproblemen’ anstatt ‚der Lernbehinderte’ und diese Lernprobleme machen die Notwendigkeit einer Schule für Lernhilfe notwendig. Man fragt sich jedoch was an den so genannten allgemeinen Schulen gemacht wird. An Schulen also, die in keine Verbesonderungskategorie hineinfallen. Wird dort nicht auch beim Lernen geholfen? Und wenn das so ist, dann ist die Schule für Lernhilfe keine Sonderschule mehr, sondern kann eingegliedert werden in den regulären Schulkanon. Meistens oder in der Regel werden diese schönen und schwammigen Begrifflichkeiten gerne im Bereich der Sonderschule benutzt. Ein Feld also, auf dem sich wohl besonders nichtbehinderte Frauen sehr gerne tummeln, weil Kinder halt etwas Schönes und, außer dem eigenen Ehemann, Begehrenswertes sind. Da macht es auch nichts, wenn das kleine schwerstmehrfachbehinderte oder – People Firstgesprochen – auf umfangreiche sonderpädagogische Fördermaßnahmen angewiesene Kind sich in die Hose scheißt (ja, ja auch Behinderte benutzen verbotenerweise die Fäkalsprache). Eine voll geschissene Hose ist ja so niedlich. Bei all dem Unvermögen klappt zumindest die Scheißerei noch! Und das riecht ja so lecker!

Was nutzt dann aber diese neue Sprache den über das schwerstbehinderte Kindsein hinausgekommenen schwerstbehinderten Erwachsenen? Aus kleinen, niedlichen behinderten Kindern werden ja mal renitente und auf ihr Recht pochende Leute. Sie werden stumm gehalten. Sie werden, trotz des Vorhandeinseins einer geistigen Behinderung und trotz der damit einhergehenden wissenschaftlichen Befähigung behördlicherseits kaputtgeschrieben, damit sie den bereits erzielten semiprofessionellen Forschungsergebnissen keine Konkurrenz bieten können.

Unausbildbar heißt das erschlagende Schlagwort! Und das ist das Dilemma! Es gibt genügend schlaue Köpfe unter den Behinderten, die gut und gerne auch auf einem universitären Lehrstuhl in ihrem Feld forschen können, die daran aber von den nichtbehinderten Leer- und Lehrkörpern gehindert werden. Die Angst, die in diesen nichtbehinderten Köpfen und Behörden herumschwirrt, ist die, dass die Behinderten, ob ihres Behindertseins, nicht die volle Arbeits- und Leistungskraft erbringen können. Die Angst der nichtbehinderten, semiprofessionellen Experten, die die Behinderten unbrauchbar macht, ist aber auch die der Attraktivität. Behinderte gehören nicht generell zu den Schönheitsidealen, wie Heidi Klum oder Jennifer Lopez. Und eine Einrichtung, auch eine soziale Einrichtung, kann sich in der Öffentlichkeit nun mal besser darstellen, wenn so ein Model, also hier etwa eine vollbusige Professorin, sie repräsentiert, als wenn das ein Einarmiger tut, außer vielleicht bei der Einführung eines neuen einarmigen Banditenmodells im Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Also heißt die Devise in der Sonderpädagogik: Bis zum Sonderschulende wird sich hingebungsvoll um die kleinen behinderten Würmchen gekümmert und People First gesprochen. Wenn diese dann trotzdem aufbegehren, werden sie mit ihrem Rolli gegen die Wand gefahren. Aber nach der Schule hört der Spaß dann auf. Dann kommen die unwillkommenen Gäste in ein Heim, werden routiniert – und nicht gemäß People First – versorgt und dann stehen gelassen, also entsorgt. Wer sich wehrt, wird vom nicht behinderten Heimbeirat nach People-First-Manier sanktioniert und – wie schon oben angeführt – der humanen und einvernehmlichen Endlösung zugeführt. Dieser Unhold stört den Hausfrieden. Idealerweise befinden sich diese Heime dann auch immer am Ende der Welt, am Stadt- oder Dorfrand, da wo kein öffentliches Verkehrsmittel (das man mit dem Schwerbehindertenausweis kostenlos benutzen kann) hin- und wegfährt. Die Einwohner sollen vor dem schäbigen Anblick der Behinderten geschützt und verschont werden. Sie sollen die schönen Dinge des Lebens erfahren. Und wenn sie dann mal selber behindert gemacht werden, dann können sie ja in eines der schönen Krüppelheime im Wald, wo Hase und Igel sich eine gute Nacht wünschen und wo Behinderte hinter verschlossenen Türen dahinvegetieren. Aber die Hauptsache ist, wir haben mal darüber gesprochen und vor allem haben wir mal People First darüber gesprochen, weil sich das halt für Behinderte so gehört und Kranke (und das sind Menschen mit negativen Gesundheitserfahrungen) und Kinder (und das sind kleine Erwachsene) und Rentner (und das sind für Nichtstun Geld bekommende Existenzen) und…

Carsten Rensinghoff

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