Die Glöcknerin packt aus

Krummer Buckel, krumme Beine und stocktaub. Für die meisten Leute ist die Glöcknerin das Gegenteil von sexy. In ihrem fortgeschrittenen Alter ist ihr das mittlerweile egal. Die Leute machen sich ja kein Bild vom einst wilden Leben der Glöcknerin. Da tat sie es in Parks und Garagen, auf Verkehrsinseln und Hochhausdächern. Mit Männern, deren Namen sie gleich darauf vergaß. Ihre Behinderung war ihr dabei egal, ihre Lover standen drauf. Doch das ist lange her. Wenn sie sich jetzt in ihr Fetisch-Kostüm zwängte, quölle der Speck und zwackten die Nähte. Normalo-Sex-Parties langweilen sie. Eher noch würde sie in einen Kleingartenverein eintreten als in einen Swinger-Club.
Heute aber bekam die Glöcknerin eine Email. Eine Gruppe namens „sexclusionist_innen unlimited“ lädt zum „Freak Club Bizarre: Eine inklusive Sexparty für alle. Barrierefrei!“ Eine barrierefreie Sexparty, schmunzelt die Glöcknerin, und dann noch für alle…das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben! Sie nimmt einen Schluck Nieren-Blasen-Tee, zieht die Heizdecke ein bisschen höher und malt sich aus, wie das wohl aussehen könnte.

Also ebenerdig muss der Laden sein, klar, und einen Fahrstuhl haben, wenn es ein Stockwerk hochgeht. Da könnten dann schon die ersten bizarren Spiele stattfinden, denkt die Glöckerin lüstern: Fahrstuhl anhalten und Quickie hinlegen. Angekommen im Tempel der Lust, böte sich das Bild eines nymphomanischen Sanitätshauses. Hebelifter würden zu Liebesschaukeln, Pflegebetten zu Lustwiesen, Krücken zu Sadomaso-Fetisch-Toys. Atemmasken bekämen auf einmal einen ganz neuen Reiz, ebenso Urinale und Dauerkatheter. Falls es Stufen gäbe, wären sie gut beleuchtet – man würde potentielle Gäste mit Glasknochen nicht zu Fall bringen wollen. Extra für sie wären manche Dinge gut gepolstert, zum Beispiel das Andreaskreuz im Folterkeller.

Apropos Keller: Die Darkrooms wären so ein Kapitel für sich. Blinde Partygäste dürften hier klar im Vorteil sein: Im Gegensatz zu den Sehenden wüssten sie, mit wem sie gerade vögeln. Rein dürften sie natürlich trotzdem. Hier herrscht schließlich Inklusion, so sehr, dass auf Wunsch der Besuch im Darkroom für Blinde auch mit Audiodeskription zu haben ist. Könnte bloß manchmal schwierig werden, weil auch die Sehenden da im Dunkeln tappen, mutmaßt die Glöcknerin. Für die gehörlosen Gäste müsste es deshalb auch den extra hell ausgeleuchteten Darkroom geben, also, eigentlich „Lightroom“. Das Praktizieren von Gebärdensprache und Lippenlesen wären so auch im Taumel einer wüsten Orgie gewährleistet.

Die Kommunikation liefe indes ohnehin eher simpel ab. Leichte Sprache wäre bei Sex-Parties kein Problem. Die Gäste würden wahrscheinlich mit ihren Ein und Zwei-Wort-Sätzen sogar über das Ziel hinausschießen: „Komm!“, „Jetzt“, „Hier!“, „Nicht da!“ „Stöhn!“ die Palette sprachlicher Äußerungen wäre im Fall inklusiver Sex-Parties überschaubar. Für Gehörlose hätte das auch den Vorteil, dass sie im wilden Rausch der Leidenschaft nur eine Hand für die Stöhn-Gebärde frei haben müssten.

Das Publikum würde sich lässig und leger zeigen. Der Dresscode wäre vielfältig – von hochgeschnürten orthopädischen Korsetts und Stiefeln bis zu Stützstrümpfen und leicht aufreißbarerer Klettverschlusskleidung. Zurück im Hier und Jetzt schielt die Glöcknerin auf ihren Kleiderschrank mit den verwaisten Lack und Lederklamotten. Ach, einmal noch, denkt sie und schiebt die Heizdecke beiseite.

Quasimoda Quantenbein

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