Opferecke

Wie immer behandeln wir in dieser Rubrik Fragen zum Komplex Behinderung, die sich die geneigte Leserschaft gelegentlich stellt, die sie sich aber nie trauen würde auszusprechen.
Unsere heutige Frage lautet: Können Menschen einen Behindertenausweis beantragen, denen Fett abgesaugt wurde? Schließlich ist das ja so etwas wie eine Amputation.
Nein – ist es nicht. Eine Amputation ist das Abtrennen eines Körperteils. Ob ein Behindertenausweis beantragt werden kann, macht sich davon abhängig, wie wichtig das Teil ist und wie viel davon fehlt. Ein fehlendes Ohrläppchen oder ein kleiner Zeh bringen da gar nichts, erst recht nicht 2,5 cm Fettschicht am Wanst.

Eher stellt sich hier eine andere Frage: Wenn bei übergewichtigen Patienten das Fettabsaugen von der Krankenkasse getragen wird, wie steht es dann mit der Finanzierung von Bauchprothesen oder gar Implantaten? Nach dem Sozialgesetzbuch IX gelten in Deutschland Leute als behindert, wenn sie bezüglich der körperlichen Funktionen, Fähigkeiten und seelischen Gesundheit über längere Zeit vom für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Das träfe auf Männer über 50 ohne Bauch zu. Oder wie es unsere Vorväter schon treffend formulierten: „Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel“.

Ein alterendes Männlein, welches laut über Silikonimplantate im Bauchraum nachdenkt, wird ebenso unter gehörigen Rechtfertigungsdruck geraten wie Patienten mit Körperintegritätsidentitätstörung (BIID), sogenannte Wannabes. Sie haben den extrem starken, meist auch noch erotisch untermauerten Wunsch, sich ein oder zwei Gliedmaßen amputierten zu lassen oder querschnittgelähmt zu werden. In gewisser Weise haben sie wie viele Transpersonen das Gefühl, im falschen Körper zu leben.

Aus Sicht einer gesellschaftlichen Identität von Behinderung bringt ein Intakter, der sich mit allen Fasern seines Leibes nach einer Querschnittslähmung sehnt, mehr als 1000 Frischverunfallte, die entsetzlich unter der Vorstellung leiden, von nun an in einem solchen Körper gefangen zu sein.

Doch während sich die Ärzteschaft darum reißt, Bäuche und Brüste zu minimieren, Penisse zu entfernen und Schamlippen zu kürzen, findet sich keiner, der eine zu einer Querschnittslähmung führende Operation oder eine Amputation durchführen würde; geschweige denn, dass eine Kasse das zahlt. Menschen mit BIID müssen sehen, dass sie mithilfe von Baumärkten oder Rangierbahnhöfen selbst einen Weg finden, ihren Körper so zu gestalten, dass sie sich nicht mehr fremd in ihm fühlen.

Wenn ihnen das gelungen ist, können sie dann auch einen Behindertenausweis beantragen. Nach der Definition von Behinderung im Sozialgesetzbuch IX spielt es keine Rolle, ob der behinderte Mensch selbst daran schuld ist.

 

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