Eine Karte für alles, was Räder hat

Ausgehen, Städte besichtigen, Freunde in Cafés treffen – RollstuhlfahrerInnen müssen das gut vorplanen. Sich zu vergewissern, ob Orte zugänglich sind, ist oft nervenaufreibend und schwierig. Die „Sozialhelden“, eine Berliner Gruppe sozial engagierter junger Menschen, hat für dieses Problem eine einfache Lösung gefunden. Vorausgesetzt, man verfügt über einen Online- Zugang oder noch besser ein Iphone von Apple. Denn die Webseite www.wheelmap.org soll eigentlich eine mobile Orientierungshilfe sein: Auf Online- Stadtplänen zeigt Wheelmap Infos über die Rollstuhlzugänglichkeit von Orten, die von den Nutzer- Innen selbst aktualisiert werden können. Einer der Köpfe hinter Wheelmap ist Raúl Krauthausen, Mitgründer des Vereins „Sozialhelden“. Als Rollstuhlfahrer steht er selbst täglich vor dem Problem, in Gebäude, Busse oder Bahnen nicht hineinzukommen.

Mondkalb: Wie ist die Idee zu Wheelmap entstanden?
Raúl Krauthausen: Mit den Sozialhelden haben wir uns regelmäßig in Cafés getroffen, zur Arbeit. Ein Freund von mir hatte irgendwann keine Lust mehr, sich immer im gleichen, barrierefreien Café zu treffen. Und da fragten wir uns: „Wo finden wir eigentlich rollstuhlgerechte Cafés? Dann hatte einer von uns die Idee, eine Plattform zu bauen, auf der sich Menschen austauschen können. Dann haben wir eine Menge recherchiert und mit vielen Leuten gesprochen und festgestellt: Die Plattformen und Datenbanken, die es schon gibt, die benutzt keiner. Wir fragten uns: „Warum nicht?“ — und landeten bei der Nutzerfreundlichkeit. Es gab dort viel zu wenige Daten, und niemand konnte selbst Daten eintragen. Das wollten wir mit unserem Wissen besser machen, schließlich kommen viele von uns aus dem IT-Bereich. Jetzt wo das Projekt läuft, stellen wir fest, das es ziemlich durch die Decke geht. Über 100 Neueinträge haben wir im Moment, täglich. Ich mach das jetzt hauptberuflich.
Wie funktioniert Wheelmap?
Wheelmap ist eine Karte für Orte, in der jeder User eintragen kann, ob die Orte rollstuhlgerecht sind oder nicht. Die Grundlage dafür ist eine „open-street-map“ – eine gebührenfreie öffentliche Karte. Auf der kann wie bei Wikipedia jeder selbst Daten eintragen, weltweit. Man kann die Orte auch bewerten, und zwar nach dem Prinzip Ampel: Grün heißt rollstuhlzugänglich, gelb heißt, dass man im Rolli hineinkommt, es aber zum Beispiel keine Rollstuhl-Toilette gibt und rot bedeutet, man kommt im Rollstuhl überhaupt nicht rein. Das Tolle daran ist, dass man auch unterwegs mit dem Mobiltelefon nach rollstuhlgerechten Orten suchen kann. Dazu muss man sich das Wheelmap-App für das Iphone runterladen. Wir arbeiten daran, dass das auch bald mit anderen Telefonen als mit dem Iphone machbar ist.
Ich hab gelesen, dass es Kritik an Wheelmap gab: Einerseits geht es um barrierefreie Orte, aber ihr guckt doch nur auf Rollstuhlfahrer, werfen euch manche Leute vor.
Wir sprechen auch nicht von Barrierefreiheit, denn das würde ja auch andere Zugänglichkeiten, zum Beispiel für Seh- und Hörbehinderte mit einschließen. Wir bleiben jetzt erstmal bei der Klientel der Rollstuhlfahrer, denn wir denken, dass Menschen mit anderen Behinderungen ganz andere Tools benötigen. Blinde Menschen können ja zum Beispiel mit einer Karte gar nichts anfangen. Langfristig wollen wir aber schon was für andere Gruppen von behinderten Leuten entwickeln, aber garantiert nicht in dem Lay-Out, das wir momentan haben.
Wer nutzt Wheelmap im Moment?
Im Moment benutzen es sehr viele Rollstuhlfahrer, mehr als am Anfang. Da haben sich viele Computerexperten darauf gestürzt, die waren total begeistert davon. Jetzt bekommen wir immer mehr mit, dass es sehr viele Rollstuhlfahrer benutzen, die wir gar nicht kennen oder von denen wir noch nie gehört haben, darüber freuen wir uns natürlich sehr. Es könnten aber noch viel mehr Leute Wheelmap nutzen, und deswegen versuchen wir jetzt gerade mehr Werbung zu machen, zum Beispiel in Rollstuhlsportvereinen. Also, das heißt, vorher haben in erster Linie Leute ohne Behinderung Einträge auf Wheelmap gestellt?
Ja, oder Familien mit Kinderwagen. An der Stelle hat Wheelmap auf jeden Fall einen inklusiven Charakter. Für uns bedeutet Inklusion nicht, unbedingt alle Behinderungen zu repräsentieren, sondern, dass die Seite auch für Leute ohne Behinderungen interessant ist. Also für alles was Räder hat. Ein bisschen könnte Wheelmap so auch die Karte des demographischen Wandels werden – zum Beispiel sind ja immer mehr Leute mit Rollatoren, also Gehwagen, unterwegs.
Muss man eigentlich als Rollstuhlfahrer oder Mensch mit Behinderung zukünftig Computerkenntnisse haben? Wie schätzt Du das ein?
Ich würde das nicht als Bedingung formulieren, aber im Moment wäre es ein Tool, um ein Problem zu lösen. Und wir versuchen, unsere Plattform so einfach wie möglich zu halten, damit kein Expertenwissen notwendig ist. Auf jeden Fall soll Wheelmap immer kostenfrei bleiben.
Macht Wheelmap politischen Druck, zum Beispiel auf Laden- und Cafébesitzer?
Ja, schon. Wir führen zum Beispiel eine black list, also eine Liste von Orten, die nicht rollstuhlgerecht sind, – das unterscheidet uns zum Beispiel von anderen Datenbanken. Mit dieser Liste wollen wir dann in der nächsten Phase auch missionieren gehen. Wir wollen also unterwegs sein, Druck aufbauen, wir wollen aber gleichzeitig auch Lösungen zeigen, wie man sein Geschäft einfach rollstuhlzugänglich machen kann, ohne gleich irgendwelche DIN-Normen erfüllen zu müssen. Die meisten Ladeninhaber wissen ja oft einfach gar nicht, wie das geht. Wir sagen nicht, alles muss perfekt sein, wir haben da einen pragmatischen Ansatz – eine Rampe ist besser als keine. Und wenn die Toilette nicht rollstuhlgerecht ist, dann kann ich zumindest einen Kaffee bei Euch bestellen. Und so eine Rampe zu zimmern ist auch kein Act.
Haben einige Ladenbesitzer schon reagiert?
Im Moment ist unsere Liste noch im Aufbau, so dass wir damit noch nicht unterwegs sind. Aber wir sind politisch gerade sehr aktiv, zum Beispiel sprechen wir mit dem Berliner Tourismus-Marketing, um solche Wahrzeichen wie den Fernsehturm endlich zugänglich zu machen. In dieser Wunde pulen wir jetzt regelmäßig.

 

Rebecca Maskos

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