Filmtipp: „Keine Arme – keine Schokolade!“

Schon so viel ist über diesen Film geschrieben und gesagt worden. 8,5 Millionen Kinozuschauer müssten doch eigentlich als Referenz ausreichen. Wir von der „Mondkalb“ –Redaktion; eines Magazins mit Schwerpunkt Behinderung und Kultur wollen es nicht versäumen pünktlich zum DVD-Start des Kinohits aus dem Jahr 2011 auch ein paar Zeilen zu schreiben. „Ziemlich beste Freunde “ beruht auf der wahren Geschichte von Philippe Pozzo di Borgo und Abdel Yasmin Sellou.

Philippe ist seit einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl, den er mit dem Mund steuern kann. Vom Hals ab spürt er nichts mehr und ist deswegen auf ständige Hilfe angewiesen. In einer Art Casting sucht er einen neuen Pfleger für seine Rund-um-die-Uhr-Pflege, die von mehreren Hausangestellten und Krankengymnasten gewährleistet wird. Philippe ist reich. Vor seinem Unfall war er Manager eines Champagner-Unternehmers und kann sich deswegen viele Annehmlichkeiten leisten, die sein Leben mit Behinderung erfordern und erleichtern. Im krassen Gegensatz zu ihm, steht das Leben von Driss, seinem neuen Assistenten, der sich auf Druck vom Arbeitsamt bei ihm meldet und eigentlich nur eine Unterschrift braucht, um weiter Arbeitslosengeld beziehen zu können. Driss ist offen, humorvoll und spontan und Philippe entscheidet sich ihn auf Probe arbeiten zu lassen. Aus der Probezeit wird ein sehr ungewöhnliches Angestelltenverhältnis und aus diesem eine Freundschaft.

Philippes Umgebung reagiert besorgt auf seinen neuen Assistenten, da sie fürchten, er könnte seine privilegierte Stellung ausnutzen und ihn ums Geld betrügen. So warnt sein Anwalt: „Du musst aufpassen. Diese Leute kennen kein Mitleid.“ Darauf Philippe: „Das ist es was ich will – kein Mitleid!“

Genau diese Direktheit macht den Film so gelungen und großartig. So spricht er viele sogenannte Tabuthemen auf eine lockere und humorvolle Art an, wie Sexualität, ohne dabei den Samthandschuh überzustreifen oder den moralischen Zeigefinger zu erheben. Ganz im Gegenteil: Durch die großartige schauspielerische Leistung und die kongenialen Dialoge wird Behinderung nicht zum Problem, sondern zum Alltagsphänomen. François Cluzet kann nichts bewegen außer seinem Gesicht und doch steckt in diesem Gesicht tausendmal mehr Emotion und Spannung, als in vielen anderen Schauspielern, von denen man den ganzen Körpereinsatz sehen kann.

Der Film thematisiert viele Bereiche, die einem Menschen mit Behinderung Schwierigkeiten bereiten können, zum Beispiel, dass man, wenn man die Hände nicht bewegen kann, nicht ohne fremde Hilfe Schokolade essen kann. Aber der Film tut das nicht mit den Mitteln des Mitleids und der Opferrolle, sondern es ist ebenso wie es ist. Dadurch gewinnt die Umsetzung des realen Stoffes eine ganze Menge Charme und Glaubwürdigkeit. Philippe ist kein Opfer und auch kein Superheld. Dieses übliche Figurenmuster in Filmen mit dem Thema Behinderung wird von „Ziemlich beste Freunde“ glücklicherweise nicht aufgegriffen. Er ist so wie er ist, mit all seinen Zweifeln, Ängsten schönen Momenten und Schwierigkeiten. Und auch sein Pfleger Driss ist alles andere als eine coole Ausgabe von Mutter Theresa. Aber gerade diese Selbstverständlichkeit macht diesen Film zu etwas Außergewöhnlichem. Das Leben im Rollstuhl ist nichts Besonderes. Weder im positiven noch im negativen Sinne. Es gehört zum Alltag. Wenn auch zu einem sehr privilegierten Alltag. Denn die wenigsten Menschen mit Behinderung können sich einen Privatjet oder Hauspersonal leisten. Da es eine wahre Geschichte ist, gibt es somit auch reiche Rollstuhlfahrer. Was der Film auf jeden Fall macht, ist ziemlich gute Laune.

Für einen schönen DVD-Abend mit einigen Überraschungen und einigen Witzen, die auch Menschen ohne Behinderung zum Lachen bringen werden.

Frankreich 2011
Genre: Komödie/Drama
R: Eric Toledano, Olivier Nakache
Darsteller: François Cluzet, Omar Sy
DVD- und Blue Ray-Start 7.September 2012
110 Min

Marie Gronwald

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