Infokasten

Problematisch war, dass offiziell alles so dargestellt worden war, als ob die Probleme bereits gelöst seien. Wenn von der Einweihung einiger behindertengerechte Wohnungen berichtet wurde, waren so, als ob damit alle Wohnungsfragen für Menschen mit Behinderungen schon gelöst seien. Dass es die Invalidenrente gab, sollte so verstanden werden, als ob sie auch in ihrer Höhe als Nonplusultra sozialpolitische Absicherung sei. Dass das Recht auf Arbeit für alle Verfassungsgrundsatz war, wurde als Beweis dafür genommen, dass jeder und jede in der DDR Arbeit habe. Qualitative Kriterien – wie etwa die Frage der Befriedigung in der Arbeit oder die Auswahlmöglichkeit zwischen vielen Berufen – spielten dabei kaum eine Rolle. Erst recht nicht, dass durchaus auch sinnlose Beschäftigung aufzufinden war. Von denjenigen, die trotz aller Bemühungen – ich unterstelle keiner staatlichen Stelle, dass sie nicht sehr vieles versuchte, Behinderte zu vermitteln – dennoch ohne Arbeit blieben, ganz zu schweigen. Dass es einige Bücher von und über Menschen mit Behinderungen gab, galt als Indiz für große öffentliche Aufmerksamkeit. Die immer wieder auftauchende Frage nach einem behinderungsübergreifenden Verband wurde dahingehend beantwortet, dass der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) sich auch unserer speziellen Fragen mit hinreichender Kompetenz annehmen könne. Die mangelnde Eignung hiesiger technischer Hilfsmittel ließ sich trefflich damit „begründen“, dass es andernorts schließlich noch weit schlimmer sei. Und außerdem gebe es ja ständig Verbesserungen…
Summa summarum: Die staatliche Politik in Bezug auf Menschen mit Behinderungen war wesentlichen darauf ausgerichtet, mit fürsorglicher Betreuung alles zuzudecken, was nicht ins Bild von einer „heilen Welt“ passte. So wurde tatsächlich versucht, so etwas wie eine „heile Welt“ herzustellen. Jahrelang gelang es ja auch, und auf diese Weise praktisch zu entmündigen.

_Ilja Seifert „… ‚versorgt‘ bis zur Unmündigkeit oder Fachleute für das eigene Leben“ in „Aufbruch im Warteland; Ostdeutsche soziale Bewe¬gungen im Wandel“, Hrsg. Michael Hofmann, Palette Verlag Bamberg, 1991_

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