Es gäbe v i e l zu sagen über den begehrlichen Blick des Mannes. Er ist nicht zu Unrecht in Verruf geraten – in den letzten Jahrzehnten aus der feministischen und machtkritischen Ecke. Schon Jesus (der war ja auch machtkritisch) provozierte mit der Aussage, dass jeder, der eine Frau begehrlich ansähe, schon ein Ehebrecher sei – also auch all jene, die sich etwas darauf einbildeten, es nicht mit Nachbars Ruth heimlich hinterm Stall getrieben zu haben, und die es für recht und billig hielten, Ruth mit Steinen totzuwerfen, wenn diese denn mit einem Anderen hinterm Stall erwischt wurde.
Aber egal, was es alles über den begehrlichen Blick zu sagen gäbe, egal, wie er bewertet werden muss – ich gebe es unumwunden zu, dass ich ihn habe. Da mögen manche Feministinnen, Apologeten der Familienidylle und fundamentalistische Pastoren nach handlichem Geröll greifen und auf mich zielen, ich schaue den Frauen nach. Ich tue es mit Freuden und ich stehe dazu. Und die Damen? Sie schauen zurück. Meine Blicke, mein Lächeln werden erwidert. Die wenigsten legen das Gesicht in Empörungsfalten, als wollten sie fragen: „Der alte Sack im Rollstuhl will doch nicht etwa was von mir?“ Einige sind überrascht, aber trotzdem – wie die meisten – erfreut (und vielleicht auch irgendwie amüsiert). Sie sind es gewohnt, so angesehen zu werden. Warum nicht auch von einem wie mir?von einem wie mir? Ein begehrlicher Blick ist nicht abschätzig (natürlich geht es hier nicht um distanzloses Glotzen). Nur wer Begehren und Lust grundsätzlich negativ bewertet, findet auch entsprechende Blicke herabwürdigend. Vielmehr kann es diskriminierend sein, nicht so gesehen zu werden. Vor zwei Jahren waren wir von der mondkalb-Redaktion mit einer jungen Journalistin für einen Tag in Berlin unterwegs. Wir setzten sie in einen Rollstuhl und gingen so mit ihr bei Karstadt shoppen, U-Bahnfahren und versuchten (vergebens) auf den Fernsehturm zu gelangen. Was unsererseits als etwas spaßiger Event in Richtung urbaner Abenteuerurlaub gedacht war, hat sie echt mitgenommen. Das Verstörendste sei für sie gewesen, dass sie auf einmal anders angesehen wurde, nicht mehr als junge Frau, nicht mehr mit diesem Blick. Damit sei sie überhaupt nicht klargekommen. Sobald sie im Rollstuhl saß, sank sie in sich zusammen und blickte zu Boden. Sie verlor jegliche Präsenz. Es lag also auch an ihr, dass sie nicht mehr begehrlich wahrgenommen wurde. Ich kenne behinderte Frauen, die sind erotisch präsent und werden angesehen. Und selbstverständlich sehen sie sich die Leute an, die für sie begehrenswert sind – wie das übrigens die meisten Frauen tun und auch immer schon getan haben. Mein Blick, mein Begehren folgen denselben Maßgaben wie alle diesbezüglichen Blicke. Ich unterscheide mich nicht, obwohl ich unter genau diesen Maßgaben leide. Denn – das haben wir in dieser Kolumne ja schon oft genug gelesen – sie bewirken, dass Körper, die darauf angewiesen sind, mit dem Rollstuhl durch die Stadt zu fahren, weit hinten im Ranking des Begehrens rangieren. Wäre es also nicht einfach nur konsequent, wegzusehen – mich abzuwenden von meinem Verlangen? Ganz zu Ende gedacht, würde das bedeuten, dass ich möchte, dass sich die Leute nicht mehr begehrlich ansehen, nur weil ich nicht so angesehen werde. Da tue ich lieber etwas, um wenigstens gelegentlich einen solchen Blick zu erhalten: nämlich selbst schauen.