Opferecke

Bisher haben wir unter dieser Rubrik jeweils drei Leserfragen beantwortet, die uns von allgemeinem Interesse schienen. Heute soll es ausschließlich eine Frage sein, die uns beschäftigt: Kann man vom Rollstuhl aus wirksam Terror ausüben?
Naheliegender scheint ja erst einmal die Frage, ob man vom Rollstuhl aus Terrorismus wirksam bekämpfen kann, denn immerhin ist der amtierende Innenminister ein Rollstuhlfahrer. Inwiefern nun die Maßnahmen, die er anstrengt, die erhofften Wirkungen erzielen, oder ob sie im Gegenteil Terrorismus erst fördern, bzw. herausfordern, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Eins scheint aber auf der Hand zu liegen: Das eine (die Wirkung der Maßnahmen) hat mit dem anderen (dem Rollstuhl) nichts zu tun. Oder doch? Der Verfasser dieser Zeilen fragte Schäuble irgendwann am Ende des letzten Jahrtausends auf einer Wahlkampfveranstaltung, warum er trotz seiner einflusseichen Stellung so gar nichts im behindertenpolitischen Bereich unternähme. Er antwortete, dass er dann als Betroffener ja immer den schalen Eindruck erwecken würde, er würde stark eigennützig handeln. So gesehen dürften dann auch Frauen keine Frauenpolitik betreiben und vor allem dürften Mitglieder von Aufsichtsräten und Vorständen keine Wirtschaftspolitik machen. Ein interessanter Aspekt! Doch warum wird das erzählt? Weil auf der Hand zu liegen scheint, dass unser Innenminister doch stark eigennützig handelt. Sind die unverhältnismäßigen Abwehrbestrebungen nicht aus seiner Betroffenheit als Anschlagsopfer zu erklären? Bewältigt er nicht damit eher sein Trauma, als der öffentlichen Sicherheit zu dienen? Doch wahrscheinlich sind solche Spekulationen müßig. Immerhin war er schon zu Zeiten, als er noch nicht im Rollstuhl saß, ein Politiker, der Ruhe, Ordnung und Sicherheit höher schätzte als die Freiheit.
Aber zurück zur eigentlichen Frage: Ein Mensch, der nicht durch enge Gänge rennen oder auf Tische springen oder blitzschnell und präzise zielen kann, ist als Attentäter oder Geiselnehmer denkbar ungeeignet. Doch auch er kann das System nachhaltig destabilisieren. Hierzu muss der Verfasser dieser Zeilen wiederum Betroffenheit ins Spiel bringen, nämlich seine eigene. Bereits vor drei Jahrzehnten begann die Kreisdienststelle der Staatssicherheit in Schmölln ihn zu observieren. Ihre Beobachtungen und Gedanken legte sie in Akten nieder. Es dauerte nicht lang und er wurde zum OV erklärt, zum Operativen Vorgang, was bedeutete, dass er nun nicht mehr nur beobachtet, sondern ihm auch heimlich aber wirksam Schaden zugefügt wurde. Den OV nannten sie aufgrund seiner Behinderung „Parasit“. Sie sahen ihn also als Schmarotzer am starken Hals der Gesellschaft. Noch heute entstehen in ihm Irritationen, wenn die Partei, die damals seine Überwacher beauftragte und sich später für ihre Renten stark machte, die gleichen behindertenpolitischen Forderungen formuliert wie er und mit ihm um ihre Verwirklichung ringt. Mittlerweile hat er begriffen: Sie sehen ihn weiterhin als Parasiten an. Daran hat sich nichts geändert. Jetzt aber saugt er dem Kapitalismus das Blut aus den Adern. Deshalb unterstützen sie ihn.

Comments are closed.