Opferecke

Die Frage, die uns heute in dieser Rubrik beschäftigt, berührt ein demokratisches
Grundrecht und hat auch eine gewisse politische Brisanz. Sie lautet: Dürfen
Wachkomapatienten wählen?
Das deutsche Recht sieht vor, dass Bürger, die unter vollständiger gesetzlicher Betreuung stehen, nicht wählen dürfen. Allerdings muss ihnen das Wahlrecht erst per richterlicher Feststellung entzogen werden.
Es gibt genügend Beispiele, wo Bürger mit schwersten geistigen Behinderungen
zur Wahl gehen und von ihrem Betreuer dabei unterstützt werden. Oft ist nicht einmal der gesetzliche Betreuer dabei, sondern Mitarbeiter der Einrichtung. Sie führen dann die Hände ihrer Schützlinge, um sie das Kreuz an der richtigen Stelle machen zu lassen.
Wachkomapatienten dürfen also wählen. Zunächst einmal kann es sein, dass
sie noch nicht sehr lange in diesem Zustand sind und ihnen das Wahlrecht nicht
entzogen wurde, weil die Wahrscheinlichkeit noch sehr hoch ist, dass sie bald wieder erwachen, oder weil das Gericht den Fall noch nicht bearbeitet hat. Sie
erhalten eine Wahlbenachrichtigung.
Es ist aber auch vorstellbar, dass auf Betreiben des Betreuers das Wahlrecht auf
Dauer erhalten bleibt. Er muss glaubhaft darstellen, dass er den Betreuten bei
seiner politischen Entscheidungsfindung hinreichend unterstützt und dann dessen
Entscheidung angemessen umsetzt.
Jetzt mögen die ewigen Bedenkenträger die Gefahr der Manipulation sehen,
gar Missbrauch und Instrumentalisierung des Betreuerstatus. Doch hierzulande
können Angehörige und Betreuer eines Wachkomapatienten sogar darüber befinden, wie sein mutmaßlicher Wille bezüglich des Weiterlebens ist. Sollte der
Patient in seinem Leben vor dem Wachkoma einmal geäußert haben, dass er
lieber tot sei, als von Hilfe abhängig, inkontinent und auf Sondennahrung angewiesen, dann kann es passieren, dass man ihn seinem mutmaßlichen Willen
folgend verhungern und verdursten lässt.
Dagegen ist doch ein mutmaßliches Kreuzchen bei der NPD nahezu unerheblich.
Zudem ist das Wählen ein Akt der Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen
Leben.
Interessanter noch ist die Frage, ob Wachkomapatienten auch gewählt werden
dürfen. Im letzten Winter stand die Thüringer CDU kurz davor, diese Frage beantworten zu müssen. Der amtierende Ministerpräsident Althaus war nach einem
Skiunfall in ein künstliches Koma versetzt worden. Wäre das – was nicht allzu selten ist – in ein Wachkoma gemündet, hätte die regierende Landespartei einen komatösen Spitzenkandidaten für die nahe Wahl gehabt. Niemand hätte wissen können, ob er bis dahin wieder aufwachen würde. Sollten sie nur deshalb einen anderen Kandidaten mit deutlich weniger Chancen aufstellen? Na ja – ist ja gerade noch mal gut gegangen.
Ein Problem hätte Herr Althaus aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gehabt –
dass seine Angehörigen gemutmaßt hätten, er wolle im Wachkoma nicht mehr
weiterleben. Seine Bezüge wären auch in diesem Zustand derart bedeutend gewesen, dass seine Verwandtschaft ein starkes Interesse an einem möglichst langen Fortbestand seiner Vitalfunktionen gehabt hätte.

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