„TV-Serien sind der neue Roman“, titelte DRadio Wissen mit Blick auf aktuelle Fernsehproduktionen wie Breaking Bad, Mad Men oder True Blood. Gemeint war, dass hier komplexe Geschichten erzählt werden, deren Spannungsbögen sich über mehrere Folgen oder gar Staffeln erstrecken und dadurch das Publikum fesseln. Eine Pionierin dieses Formats war Buffy the Vampire Slayer (BtVS), die in den USA 1997 startete und 2003 mit der siebten Staffel endete. Die Serie war auch in Deutschland ein Erfolg, obwohl Übersetzung und Synchronisation sehr schlecht waren und das Original auf „Comedy“ reduzierten. Das Problem fängt schon beim deutschen Titel an: „Buffy – im Bann der Dämonen“. Diese „Eindeutschung“, schreibt der Autor Dietmar Dath in seinem Buch über die Serie, setzt die Heldin ins Passiv und zerstört „nichts Geringeres als den Grundton des Werks“, den Gegensatz zwischen dem „albernen Mädchenvornamen“ und der „ehrwürdigen Vokabel ‚Slayer‘ für jemanden, der etwas totschlägt.“
BtVS ist zunächst eine Parodie des Vampir-Genres. Buffy Summers (Sarah Michelle Gellar) lebt in der fiktiven kalifornischen Kleinstadt Sunnydale und sieht in der ersten Folge als blonde Siebzehnjährige so aus wie die Mädchen, die in konventionellen Horrorfilmen vor Angst schreien und als erste von Monstern getötet werden.
Aber Buffy führt ein geheimes Doppelleben als vorerst einzige Vampir- und Dämonenschlächterin, die auch kreischende Männer davor rettet, das Blut aus dem Leib gesaugt zu bekommen oder verspeist zu werden.
Unterstützt wird sie dabei von ihrem „Watcher“, dem Schulbibliothekar Rupert Giles (Anthony Stewart Head) und ihren Freunden Willow Rosenberg (Alyson Hannigan) und Xander Harris (Nicholas Brendon). Die Grundidee der ersten drei Staffeln besteht darin, die Schulzeit als Horror zu zeigen. Sunnydale ist nicht umsonst auf dem „Höllenschlund“ (hellmouth) erbaut. Soziale und psychologische Phänomene präsentiert BtVS in mystischer, also verfremdeter Version: Jugendliche, die in der Schule unpopulär sind, werden buchstäblich unsichtbar, was für die Betroffenen keine Fähigkeit, sondern eine Last ist („Out of sight, out of mind“). Eine Dämonin heftet Schülerinnen und Schülern wie in einer ungewollten Schwangerschaft ihre bösartigen Nachkommen an („Bad Eggs“).
Als Evangelikale verkleidete Dämonen entführen obdachlose Jugendliche an einen der Hölle ähnlichen Ort; der entpuppt sich als eine Mischung aus unterirdischer Fabrik und Konzentrationslager, wo das Leben schneller vergeht und wo Menschen jahrzehntelang ausgebeutet werden, ehe die Aufseher sie alt, gebrochen und verwirrt wieder an die Oberfläche entlassen („Anne“). „Das Unwirkliche“, heißt es bei Dath über BtVS, „überrumpelt nicht mit Unbekanntem, sondern es erinnert (…) an etwas, bei dem man lieber nicht dabei gewesen wäre, das man aber erlebt hat.“ Der Horror und das Pathos des Genres werden allerdings regelmäßig gebrochen durch Humor, etwa wenn Willow die Frage aufwirft, wie männliche Vampire sich rasieren, wenn sie doch kein Spiegelbild werfen.
Schauspielerinnen, Figuren und Geschichten werden im Lauf der Serie erwachsen und vielseitiger. Wiederkehrende Themen sind Normabweichung und Ausgrenzung. Willows erster Freund, der in sich ruhende Oz (Seth Green), entdeckt, dass er sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt.
Angesichts dieses Anfallsleidens sprechen seine Freunde darüber als „his condition“.
Willow macht Oz eine Liebeserklärung: „Du bist nett, witzig und du rauchst nicht. Na gut, du bist ein Werwolf, aber das ist ja nicht die ganze Zeit. Es gibt drei Tage im Monat, an denen ist auch mit mir nicht zu spaßen“ („Phases“). Tara Maclay (Amber Benson), Oz‘ Nachfolgerin an der Seite Willows, wird von ihrer konservativen Familie in dem Glauben erzogen, sie habe etwas Dämonisches in sich, weshalb sie unsicher ist und Angst hat, ihre Freunde könnten ihre „wahre Natur“ entdecken („Family“). Buffy vergiftet sich im Kampf mit einem Monster an einem Halluzinogen; in einer Parallelhandlung ist sie danach Patientin in einer Psychiatrie und bekommt Wahnvorstellungen diagnostiziert („Normal Again“). Die ganze BtVS-Welt existiere nur in ihrer Fantasie, sagt der Psychiater und versucht sie davon zu überzeugen, indem er auf die Unwahrscheinlichkeit und logischen Ungereimtheiten in den Geschichten hinweist. Buffy entscheidet sich für ihre Existenz als Slayer, aber was wahr ist, lässt die Folge in verstörender Weise offen.
BtVS ist ohne Zweifel eine feministische Serie, denn sie handelt von weiblichem Widerstand gegen Herrschaft.
Männer werden in ihr zwar respektiert und manchmal auch begehrt, aber sie sind eher Figuren der zweiten Reihe und die Heldinnen sind nicht von ihnen abhängig. Dass nur Mädchen oder Frauen Slayer sein können, ist eine Selbstverständlichkeit. Der BtVS-Feminismus kann sich Lässigkeit leisten, weil er in Gestalt seiner Protagonistinnen schon gesiegt hat. Da die Verhältnisse aber doch noch männlich dominiert und politische Bewegungen schwach sind, benötigen Buffy, Willow und Tara übernatürliche Kräfte, um sich im Kampf zu behaupten. Die gesellschaftlichen Realitäten schlugen sich auch in den Produktionsbedingungen der Serie nieder. So stieß das Autorenteam bei der Darstellung der Beziehung von Willow und Tara an die Grenzen der Zensur. Eindeutig sexuelle Situationen konnten erst gezeigt werden, nachdem man sich von Warner Brothers getrennt hatte.
BtVS-Erfinder Joss Whedon wird häufig darauf angesprochen, wie er so gute Frauenrollen schreiben könne. „Wenn Sie meine Mutter kennengelernt hätten, würden Sie das nicht fragen“, erklärte er einmal; Whedon ist Sohn der Feministin Lee Stearns (1936-1992).
Auch jenseits von BtVS meldete Whedon sich politisch zu Wort: In einer Satire warnte er vor einer Zombie-Apokalypse im Falle der US-Präsidentschaft des Republikaners Mitt Romney.
Dieser sorge für Rückschritt in der Gesundheitsversorgung, dem Bildungssystem, sozialer Sicherheit und reproduktiven Rechten; dies garantiere Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheiten und Unruhen – „all crucial elements in creating a nightmare zombie wasteland.“ Der Kapitalismus zerstöre sich selbst, die USA verwandelten sich in ein „Land der Leibeigenen“. Auf die Frage, ob er für Sozialismus sei, antwortete er, wenn Menschen Strukturen errichteten und verteidigten, die der Mittel- und Arbeiterklasse helfen, würden sie als Sozialisten bezeichnet.
Die 144. und letzte BtVS-Folge „Chosen“ vom 20. Mai 2003 endet mit einem großen Showdown und damit, dass jedes Mädchen und jede Frau, die sich dazu berufen fühlt, Slayer werden und sich gegen Monster verschiedener Art erheben kann. Wie bei jedem guten Roman ist man dennoch ein wenig melancholisch, weil die Geschichte nun vorbei ist. Man möchte wieder von vorn anfangen.