Das „Andere“ dominiert uns nicht. Interview mit Sven Drebes vom Berliner Bündnis der behindert und verrückt feiern – Mad & Disability Pride Parade

Was der lesbisch-schwulen Community der Christopher Street Day, ist den behinderten Menschen die Disability Pride Parade. Zumindest im US-amerikanischen Chicago, wo die Parade in diesem Jahr schon zum elften Mal stattfindet. Im kanadischen Toronto hat eine andere Veranstaltung eine sogar noch längere Tradition: Das Mad Pride Festival findet dort seit 1993 statt. Gemeinsam ist beiden Events, dass ihre Teilnehmer_innen das medizinische Modell von Behinderung und psychischen Krisen ablehen. Statt ihre Eigenschaften als Defizit zu verstecken, normalisiseren oder heilen zu wollen, feiern sie sie als ihre Art zu leben. Seit 2004 hat sich die Idee der Pride Parade in den USA verbreitet. Auch in Ländern wie Großbritannien, Norwegen und Süd Korea gab es schon Pride Parades. In Deutschland war die „Feierdemo“ behinderter Menschen weitgehend unbekannt, bis sich 2013 eine Gruppe aus behinderten, nichtbehinderten, diagnostizierten und nichtdiagnostizierten Menschen zusammentat. Das Bündnis der „Behindert und verrückt feiern Mad & Disability Pride Parade Berlin“ organisierte vergangenes Jahr die erste Parade in Deutschland. Auch „Mondkalb“ war im vergangenen Bündnis dabei und war auch in diesem Jahr Mitorganisator.

Sven Drebes hat im Bündnis im letzten Jahr als Pressesprecher mitgearbeitet. Im Monkalb-Interview erzählt er unter anderem, wie es war, das Front-Transpi zu halten.

Es gibt ja immer mal wieder Demos von behinderten Menschen, zum Beispiel alljährlich den 5. Mai, den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Wie siehst Du das, warum brauchen wir da noch eine “Behindert und verrückt feiern Disability and Mad Pride Parade?”

Die anderen Demos haben in der Regel handfeste politische Ziele Teilhabegesetz, Barrierefreiheit eines Gebäudes, Abschaffung oder Beibehaltung von Förderschulen und so weiter. Das bringt es fast zwangsläufig mit sich, dass sich die Beteiligten als “Problemgruppe” beschreiben, die in irgendeiner Weise Hilfe braucht, oder dass sie ihr Ausgegrenztsein betonen. Das Zeigen von Stolz und Selbstbewusstsein passt da nur selten dazu. Die meisten Demos werden zudem von Sozialverbänden, Wohlfahrtsverbänden und Verbänden der Behindertenhilfe organisiert oder dominiert. Und die haben ja eigene Interessen, die nicht unbedingt denen der behinderten Menschen entsprechen. Schließlich laufen die meisten Demos, gerade die am 5. Mai in Berlin, ziemlich ritualisiert ab, was sie eher langweilig macht.

Knüpft die Pride Parade in Deinen Augen damit auch an die Anfänge der Krüppel-bewegung an, die vor allem Anfang der 80er Jahre mit provozierenden Aktionen für Aufsehen sorgte? Oder wo unterscheidet sich die Pride Parade davon?

Vorweg, ich bin Jahrgang 1975, kenne die Krüppelbewegung also nur aus Erzählungen und Texten. Teilweise gibt es sicher Gemeinsamkeiten. Wir haben wie damals die Krüppelbewegung das Zu-uns-Stehen betont und bewusst durch unsere Sprache provoziert. Die Aktiven der Krüppelbewegung haben angefangen, über den Tellerrand ihrer jeweils eigenen Behinderung zu schauen und übergreifend das Behindernde anzugreifen. Damals standen meines Wissens allerdings überwiegend Bewegungsund Sinnesbehinderungen im Mittelpunkt, nur vereinzelt waren Menschen mit chronischen Erkrankungen aktiv. Bei der Pride-Parade spielte dagegen die Zuschreibung “Verrückt-Sein”, psychische Behinderung und Psychiatrisierung eine wesentliche Rolle, und das spiegelt sich selbstverständlich auch in der Zusammensetzung der Gruppe wider.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass sich die Krüppelbewegung gegen “Nicht-Krüppel” abgrenzte, unsere Gruppe dagegen sowohl aus Menschen besteht, die sich als behindert und/oder verrückt bezeichnen, als auch aus solchen, die das nicht tun. Last but not least spielen bei uns allgemein gesellschaftsund insbesondere kapitalismus-kritische Aspekte eine wichtige Rolle, wie Normierungsund Leistungsdruck und Ausbeutung.

Wie fandest Du die Resonanz auf die Pride Parade?

Sehr positiv. Viele meinten, dass so etwas seit langem gefehlt hat. Und die Stimmung bei der Parade war großartig.

Du bist bei der Parade ganz vorne mitgefahren und hast das Front-Transpi gehalten. Wie war das für Dich?

Für meine Hand war es ziemlich anstrengend. Aber sonst toll. Gewöhnungsbedürftig war am Anfang, dass vier oder fünf Mannschaftswagen der Polizei vor uns her fuhren und in der Tür des letzten ständig ein Polizist stand und uns beobachtet hat.

Wie kam es eigentlich, dass Du “PrideParade-Mitorganisator” und „Frontmann“ wurdest?

Das ich das Front-Transpi mit getragen habe, hat sich eher ergeben. Die “Aufgabe” war noch offen, und ich war einer von denen, die während der Parade keine andere Aufgabe hatten. Zur Parade insgesamt bin ich über eine Kollegin gekommen.

Es gab ja auch immer wieder Kritik an der Parade man könne doch nicht etwas feiern, was Leiden bedeute, zum Beispiel psychische Krankheit oder schwere körperliche Behinderung. Depressionen und Panik-Attacken sind ja auch definitiv keine schönen Sachen. Was sagst Du zu solchen Einwänden?

Ich bestreite nicht, dass das Leben mit einer Beeinträchtigung auch mit Schmerzen oder psychischen Krisen verbunden sein kann. Aber das ist immer nur eine Facette des Lebens. Daneben führt der größte Teil von uns ein Leben wie die meisten anderen Menschen. Das gerät aber zu oft aus dem Blick, weil die Spastiken, die Psychose oder die Trisomie das ist, was den “Anderen” als “anders” ins Auge springt und die Wahrnehmung dominiert. Es dominiert uns aber nicht, oder nur in den seltensten Fällen. Und viele wollen den Teil, der den anderen so schrecklich vorkommt, nicht missen. Daher finde ich schon, dass wir uns feiern können, mit allem, was uns ausmacht.

Wie ist das bei Dir persönlich Du brauchst viel Assistenz im Alltag und Du hast eine Sprachbehinderung. Wie definierst Du “Pride” für Dich persönlich?

Ich verstehe “Stolz” im altmodischen Sinn von Selbstbewusstsein. Es stimmt, dass ich eine Behinderung habe, die kaum jemand, der mich auf der Straße sieht, haben möchte. Ich habe aber durch meine Behinderung vieles erlebt und getan, was ich ohne sie nicht getan und erlebt hätte. Ohne meine Behinderung wäre ich mit ziemlicher Sicherheit ein anderer, möglicherweise ein ziemlich stromlinienförmiger Mensch.

Wie hat sich dieses Bewusstsein bei Dir entwickelt und was hat Dir dabei geholfen?

Sehr allmählich. Ich kann das nicht an bestimmten Ereignissen festmachen. Geholfen hat mir sicher, dass es immer Menschen gab, die mir das, was ich vorhatte, zugetraut haben, oft auch mehr. Ich hatte zudem das Glück, dass unter den Menschen, die in meinem Leben wichtig waren und sind, niemand war oder ist, der mich aufgrund meiner Behinderung besonders behüten wollte.

Interview: Rebecca Maskos

Weitere Informationen:
www.disabilityprideparade.org,
www.pride-parade.de,
www.madprideto.com.

Rebecca Maskos

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