Mahnmale sind immer irgendwie schwierig
– zumal in Deutschland. Mahnen doch die
Nachfahren der Täter sich selbst. Die Opfer,
bzw. deren Nachfahren sollten jedoch ins
Gedenken an zentraler Stelle mit einbezogen
sein. Ansonsten wird es völlig absurd.
„Jedem Opfer recht getan, ist eine Kunst die
niemand kann.“ Das hat sich schon in den
Diskussionen rings um Konzeption und Errichtung
des Mahnmals für die ermordeten
Juden Europas gezeigt. Dabei ist hier das relativ
moderate Werk Eisenmans zur Umsetzung
ausgewählt worden. Der Vorschlag,
mit dem sich Horst Hoheisel und Andreas
Gnitz an der Ausschreibung beteiligt hatten,
hätte die Berliner Republik wohl nicht
verkraftet. Sie wollten das Brandenburger
Tor abtragen, zermahlen und den Staub auf
dem Platz verteilen. Wahrhaft radikal! Auch
verkehrsplanerisch. Jedoch nicht täterkompatibel
genug.
Hoheisel und Gnitz haben in den Jahren danach
aus der Ablehnung ihres Konzepts Lehren
gezogen, so dass nun doch noch eines
ihrer Mahnmale nach Berlin gekommen ist,
zumindest vorübergehend. An einer Bushaltestelle
in der Tiergartenstraße nahe der
Philharmonie wurde ein grauer Bus aus Beton
aufgestellt und soll dort mehrere Monate
bleiben. Er ist in der Mitte geöffnet, so
dass man längs hindurchgehen kann. Auf
der linken Innenwand steht die Frage: „Wohin
bringt ihr uns?“ Gleichzeitig ist mit gelben
Strichen auf der Straße und im Foyer
der Philharmonie der Grundriss des ehemaligen
Grundstückes Tiergartenstraße 4 und
der darauf befindlichen Villa markiert. In
diesem Haus wurde Anfang der 40er Jahre
das Euthanasieprogramm der Nazis, schlicht
„T4“ genannt, ausgearbeitet und verwirklicht.
Eine Tafel an der Bushaltestelle verweist
darauf.
Ein Teil des Mahnmals ist stationär. Es besteht
ebenfalls aus einem grauem Betonbus,
der in der psychiatrischen Anstalt Weißenau
in Ravensburg (Baden Württemberg)
steht. In dieser Anstalt wurde das T4-Programm
umfassend umgesetzt. Die Insassen
wurden mit Bussen der Gemeinnützigen
Krankentransport GmbH in die Tötungsanstalt
Grafeneck verbracht. Der zweite Betonbus,
eben der gerade in der Tiergartenstraße
steht, ist mobil und soll quer durch
Deutschland reisen. Überall wo sich Initiativen
finden, die der Opfer des Massenmords
der Nazis an behinderten Menschen gedenken
wollen, soll er hinkommen.
Die Ankunft des Mahnmals in Berlin wurde
am Vormittag des 18. Januars in hochkarätiger
Besetzung begangen. Unter anderem
war Bundestagsvizepräsident Wolfgang
Thierse zugegen, ebenso Prof. Andreas
Nachama, Direktor der Berliner Stiftung
„Topographie des Terrors“. Bereits am Vorabend
wurde aus gleichem Anlass ein Empfang
in der baden-württembergischen Landesvertretung
gegeben. Auf keiner der beiden
Veranstaltungen kam ein behinderter
Mensch zu Wort. Auf die Frage, inwieweit
bei der Erstellung der Konzeption des
Mahnmals behinderte Menschen einbezogen
wurden, antwortete Hoheisel, er habe
sich ja mit der Anstaltsleitung der Weißenau
abgestimmt. In den Reden erschien die
Euthanasie der Nazis als fürchterliches Versagen
der Fürsorgepflicht, als schreckliches
Verbrechen. Eine kritische Sicht auf die Rolle
von Anstalten im Rahmen der Hilfeerbringung,
auf Internierung als gesellschaftlicher
Reflex auf soziale Probleme, auf totalitäre
Menschenbilder, die bis heute, u.a. in
den bioethischen Diskurs hineinwirken, fand
nicht statt.
Hoheisels und Gnitz´ neues Mahnmal scheint
also wesentlich täterkompatibler zu funktionieren
als ihr vorheriges. Leider kommen die
Opfer dabei nur noch am Rand vor – als Folie
des Mitleids. Aber das ist man bei dieser
Opfergruppe ja gewohnt.
Als ich am 18. Januar mit dem Rollstuhl
durch den Betonbus fahren wollte, bemerkte
ich, dass mein schmaler Rollstuhl gerade
so passte. Ein breiterer Elektrorollstuhl ist
ausgeschlossen. Gnitz, gelernter Bauingeneur,
hat die DIN-Vorschrift für barrierefreies
Bauen an seinem Kunstwerk ausser Acht
gelassen. Die lichte Breite des Ganges durch
den Bus beträgt 83 cm, vorgeschrieben sind
95.