Im Jahr 1977 – also genau vor 30 Jahren – erschien im Zytglogge Verlag Bern das Buch „Herz im Korsett, Tagebuch einer Behinderten“ von Ursula Eggli. Ein Jubiläum, auf das sich hinzuweisen lohnt.
Beim Schreiben des Buches ist die Autorin 30 Jahre alt. Da sie an einer Muskelerkrankung leidet, hat sie schon in diesem Alter die Möglichkeit eines nahen Todes vor Augen und erlebt massiv den Verfall ihres Körpers. Seit ihrer Kindheit ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Sie kann sich nicht mehr allein an- und auskleiden, kann nicht allein auf Toilette gehen, geschweige denn einkaufen, kochen und putzen. Auch das Schreiben, das Zeichnen oder kleine Handarbeiten wie Häkeln fallen ihr immer schwerer.
Trotzdem ist sie in der gerade erst entstehenden emanzipatorischen Behindertenbewegung aktiv, ist literarisch tätig und gibt Unterrichtsstunden zum Thema Behinderung. Vor allem lebt sie nicht im Heim oder lässt sich von der Familie pflegen, obwohl es bei einer schweren Behinderung zu dieser Zeit kaum andere Möglichkeiten gibt. Sie lebt in einer WG mit jungen Leuten zusammen und organisiert mit ihnen und anderen Freunden von außen die Hilfen, die sie im Alltag und auf ihren vielen Reisen benötigt.
Allein die Reflektionen einer behinderten Frau und die Schilderung ihrer Wirklichkeit machen das Buch lesenswert. Wenn es darum geht, wie man sich fühlt, wenn man per se der Normalität nicht zugerechntet werden kann und permanent Rand- und Sonderstellungen zugewiesen bekommt, hat das Buch leider nach drei Jahrzehnten noch immer kaum an Aktualität verloren. Die Innenansichten einer linksalternativen Gruppe Ende der Siebziger in der Schweiz interessiert hingegen wahrscheinlich nur noch Historiker und Nostalgiker. Sensationell an diesem Buch aber war die Tatsache, dass eine schwerbehinderte Frau den Mut hatte, ehrlich und unverblümt über Liebe und Sexualität zu schreiben. Sie entspricht nicht den Erwartungen der Gesellschaft. Ihr Körper erfüllt nicht die Maßgaben, die einer Frau als Sexualpartnerin und Mutter gesetzt werden. Ursula Eggli schreibt offen und direkt von ihren Ansprüchen auf erfüllte Sexualität, von ihren Sehnsüchten, Hoffnungen, Frustrationen und Enttäuschungen.
Mit „Herz im Korsett“ kommt die Problematik von Sexualität und Behinderung erstmals in die breite Öffentlichkeit. Fast zeitgleich entsteht der Film „Behinderte Liebe“ von Marlies Gräf, in welchem Ursula Eggli ebenfalls mitwirkt. Er wird überall im deutschsprachigen Raum weit über die Fachöffentlichkeit und die Kreise Behinderter und ihrer Angehörigen hinaus wahrgenommen und über Jahre diskutiert.
Ursula Eggli ist heute 62 Jahre alt, lebt in Bern und hat in den letzten drei Jahrzehnten noch viele Bücher veröffentlicht, u.a. „Fortschritt im Grimmsland“ ein modernes Märchen für Mädchen und Frauen, „Von der Zärtlichkeit des Sonntagsbratens“, eine Familiengeschichte oder „Ein Hallo aus der Glasglocke, Briefe über Grenzen“, das ihren Kontakt mit einem autistischen Mädchen beschreibt.
„Herz im Korsett“ ist wie alle anderen ihrer Werke auch direkt von ihr zu beziehen. U. Eggli Wangenstrasse 27 CH – 3018 Bern. Auch über die Homepage kann Kontakt zu ihr aufgenommen werden: http://www.ursulaeggli.ch/