Auge auf!

Verfilmungen von Romanen sind nichts Ungewöhnliches. Auf fast jedes gut verkaufte Buch folgt früher oder später die filmische Umsetzung.
Meistens gelingt dies nur unzureichend und man hätte sich die entsprechenden Bilder lieber beim Lesen im Kopf vorgestellt, als auf Zelluloid gesehen. Bei „Schmetterling und Taucherglocke“ hegte man ähnliche Befürchtungen. Da man schon bei der Lektüre dieses Romans die Bilder und Gefühlsmetaphern brillant beschrieben fand, schien eine adäquate Adaption unmöglich zu sein. War es möglich, die ungewöhnliche und sehr humorvolle Gefühls- und Gedankenwelt von Jean-Dominique Bauby filmisch und schauspielerisch umzusetzen?
Bauby war Chefredakteur der „Elle“, liebte sein Leben, gutes Essen und menschliche Kontakte, bis er plötzlich nach einem Schlaganfall durch das Locked-in-Syndrom von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Nur mit Hilfe seines Augenaufschlags (einer anderen Äußerung war er nicht fähig) schrieb er einen Roman. Durch die vielen exakten Beschreibungen seiner Umgebung und seiner Empfindungen wurde das Buch zu einem einzigartigen Sprachrohr eines eigentlich stumm gewordenen Mannes. Kurz nach der Veröffentlichung starb er an den Folgen einer Lungenentzündung.
Der Film hatte es also ganz und gar nicht leicht. Aber schon bei der ersten Einstellung wird klar, dass die Aufgaben, die Drehbuchautor,
Regisseur und Hauptdarsteller gestellt wurden, sie ganz und gar nicht überforderten.
In der ersten Szene werden wir zu seinem Auge – das einzig beweglichen, lebendigen Körperteil – und sehen die Ärzte und Schwestern im Krankenzimmer über den Patienten reden. Die besondere Kameraeinstellung wirft uns sofort in die Perspektive Baubys. Dieser kommentiert ironisch jede Begegnung und jedes Gespräch, das mit ihm oder über ihn geführt wird. Die Kamera ist das Auge: das Auge des Zuschauers und das Auge des Protagonisten. So liegt man quasi als er selbst im Bett und spürt förmlich, wie man wie ein Riesenbaby von drei Muskelmännern und drei Krankenschwestern gebadet und gewaschen wird. Die ironischen voice-over Kommentare runden meisterlich dieses einzigartige Kunstwerk ab.
Die einfühlsame und außerordentliche Spielweise des Schauspielers trägt durch seine hervorragende Darstellung mindestens zu 90% zu dem Gelingen des Filmes bei. Ganz unsentimental sitzt er mit schiefem Gesicht und abgeklebtem Auge glaubwürdig und sympathisch im Rollstuhl. Noch nie konnte ein Auge derart vielschichtige und differenzierte Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen. Von Trauer bis Wut spiegelt sich alles in diesem Blick, in der Gestik des Auges wieder. Vom anfangs verschwommenen Blick beim Erwachen bis hin zum Abschiedstelefonat mit der Freundin erlebt man als Zuschauer alles durch dieses
Auge.
Ein Filmerlebnis der ganz besonderen Art, bei dem man in jeder Sekunde beide Augen offen lässt.

„Schmetterling und Taucherglocke“, R: Julian Schnabel, DB: Ronald Harwood, USA, Frankreich 2007, L: ca. 112min, D: Mathieu
Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie- Josèe Groze

Lena Anders

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