Leichenfledderei

Irgendwie hat es ja immer schon Leichenfledderei gegeben. Vor allem im
Krieg. Da lagen die erschlagenen Kämpfer und man sammelte von ihnen alles
ein, was sie so jetzt nicht mehr gebrauchen konnten: Klamotten, Waffen,
Proviant, Schmuck und Geld. Es war ein Teil des Einkommens der Soldaten.
Und auch die Zivilbevölkerung, die ja meist fürchterlich leiden musste, wenn
in ihrem Territorium Krieg geführt wurde, hatte so einen kleinen Ausgleich.
Das Leichenfleddern war immer etwas Unehrenhaftes, Anrüchiges. Unsere
moderne westliche Welt aber ist nun wesentlich davon beeinflusst und es
wird hoch angesehen.
Die Königsdisziplin der Wissenschaften, die Medizin, konnte sich nur entwickeln,
weil Anatomen Leichen zerschnippelten. Anfangs war das so verpönt, dass sie es heimlich tun mussten. Bald aber sahen alle ein, dass man etwas in seine Einzelteile zerlegen musste, um seine Funktionsweise zu verstehen. Was brauchte eine Leiche noch einen Körper? Die Lebenden brauchten den Leichnam, um ihr Leichnamwerden zu verzögern. Man begann, den Menschen als Mechanismus zu sehen. Wenn er nicht mehr richtig funktionierte, musste man nur an der richtigen Schraube drehen, und dann ging es wieder. Oder eben ein Ersatzteil einsetzen.

Die Sache mit der Organspende kam auf. Was brauchte eine Leiche ein Herz?
Warum sollte man eine solche Hochleistungspumpe einfach wegwerfen, wo sie doch anderweitig noch gebraucht wurde? Das Fatale war nur, dass das Herz einer Leiche genauso tot war wie diese. Ein funktionierendes Herz bekam man nur, wenn man es aus einem lebenden Leib riss. Man kam auf die Idee, die Organe möglichst kurz vor Eintritt des Todes zu entnehmen. Damit sich das nicht so brutal anhörte,
wie es war, erfand man den Hirntod. Wenn der Körper noch lebte, das Hirn sich aber schon ausgeschaltet hatte, konnte das Schlachten losgehen. Leichenfledderei ist dagegen harmlos. Hier geht es an die lebende Substanz. Nach der Kategorie des Hirntodes erfindet man vielleicht demnächst die des sozialen Todes. Wer nicht mehr leistungs-,genuss- oder beziehungsfähig
ist, wird zum Recycling freigegeben.

P. R. Iapos

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