Von political correctness kann bei der neuen Jugendsprache nicht die Rede sein – voll im Gegentum. Und das ist gut so. Soweit ich verstanden habe könnte die Überschrift in etwa so übersetzt werden: Benimm Dich endlich, Du Schwachkopf. Wer hätte das gedacht? Wer von uns Grufties?
Ein gültiges Wörterbuch der Jugendsprache gibt es nicht und kann es nicht geben, denn sie ist ein Wortverflüssiger, der Bedeutungsveränderung nicht nur erleidet, sondern aktiv betreibt. Bedeutungen werden erweitert oder auch eingeengt, verschoben oder gelegentlich mal völlig ins Gegenteil verkehrt. Neue Wörter entstehen durch Verdeutschlichung, wie zum Beispiel „joinen“. „Joinen“ kann man so gut wie alles, Döner zum Beispiel oder Videotheken oder Partys, was sogar die englische Bedeutung aus den Angeln hebt. Voll „abgespaced“. Der Grufti bleibt ratlos zurück. Wir könnten uns so nicht verständigen – Jugendliche wohl.
Grenzüberschreitung und Tabubruch wären dabei Programm, wenn der Prozeß als Programm verliefe. Nehmen wir die Verwandlung vom Adjektiv „behindert“ zum Substantiv „Behindi“ oder auch kurz „Hindi“, das schon wieder an den guten alten „Hirni“ erinnert und auch dessen Bedeutung übernommen hat. Wer könnte sich so was ausdenken? Oder nehmen wir den wahllosen Gebrauch der Vorsilbe „ab“, also etwa in „abkacken“, „ablatzen“, „abmoffen“ oder „absicken“, was ein anders Wort für „chillen“ ist. Und so gelangen diese Schöpfungen mitunter auch in den gängigen Sprachgebrauch von Junggrufties. Da schnallste ab. Die Rate der Wortmutationen ist dabei extrem hoch. Schon aus diesem Grunde wäre ein Wörterbuch am Erscheinungstag bereits veraltet – vergruftet, wenn ich mir selber mal einen Versuch auf diesem Gebiet erlauben darf.
Die DNS wird manchmal als „Sprache des Lebens“ bezeichnet. Auch sie braucht neben der getreuen Kopie von Generation zu Generation ein gewisses Maß an Variabilität. Sonst gäbe es keine Veränderung. Die Sprache als gesellschaftliche Kommunikation braucht diese Konstanz auch, aber andererseits weit höhere Plastizität als die DNS. Nicht nur, weil sie einer sich verändernden Realität Rechnung tragen muß, sondern weil sie selber die Realität ändert und ändern will. Sprache ist schöpferisch und Quelle des Neuen. Jugendsprache treibt dieses Spiel auf die Spitze. Sie ist ein ständiger Angriff auf die Grenzen des Überlieferten, Revolte und Experiment in einem. Sie konstituiert die Gemeinschaft derer, die sie sprechen und schließt diejenigen aus, die das nicht können und nie können werden.
Lehrer und Eltern kommen zwangsläufig von Zeit zu Zeit mit ihr in Berührung und zeigen sich in der Regel schockiert. Auch dieser Effekt macht offenbar Spaß. Als ich vor ein paar Jahren von meinem damaligen Lebensabschnittsohn zum ersten Mal mit unserem „behindert“ konfrontiert wurde, zeigte ich mich extrem belehrend und hob zu diesem Behufe sogar meine Stimme. Ich war irritiert, wusste jedoch noch nicht, dass Irritation die Voraussetzung für Lernen ist – Lernen im Sinne von sich öffnen.
Wenn man selber ein bekennender Hirnamputierter ist, kann das Wort „behindert“ schmerzhaft sein. Dabei übersieht man schnell, dass Jugendsprache weder bösartig noch gewaltträchtig ist. Ihre immer mitschwingende Grundbotschaft lautet: Wir sind die, die Spaß verstehen. Und denjenigen, die das nicht verstehen, sagt sie: Komm mal klar, Alter.