Genau kann ich es nicht sagen, ob mich meine Behinderung zu den Huren getrieben hat oder das, was allgemein als Midlifecrisis bezeichnet wird.
Jedenfalls hatte sich gerade eine Holde für immer verabschiedet, der ich über Jahre die alleinige Verfügung über meine Beutel (egal, ob diese Geld oder anderes enthielten) zugestanden hatte. Meine Muskelerkrankung war mittlerweile so weit fortgeschritten, dass ich kein Glied mehr rühren konnte – außer das eine. Faktisch hieß das, meine Hände als willige Helfer fielen aus. Sex fiel komplett aus – und das wohl für immer.
Der Hüftschwung der Frau vor mir, die Blicke des Mädchens in der U-Bahn, das Lächeln einer Freundin, die Brüste der Nachbarin! Ich konnte mir vorstellen, mit ihnen Sex zu haben. Wenn ich mir jedoch vorstellte, wie es wäre, mit ihnen übers Wochenende zu verreisen, fernzusehen oder Schuhe zu kaufen, wurde mir übel. Doch nicht mein derzeitiger Überdruss an weiblicher Alltagsinkompatibilität hielt mich letztlich vom Anbaggern ab. Das kriegte ich einfach nie richtig hin als schüchterner und leicht klemmiger Behindi.
Ob mich nun ausschließlich der Triebstau zum Freier gemacht hätte, oder ob ich mich per Selbstbefriedigung zufrieden gegeben hätte, weiß ich nicht. Immerhin, so wird es auf der Homepage von Hydra, der Berliner Hurenselbsthilfe, behauptet, ist jeder Mann irgendwann einmal in seinem Leben als Freier unterwegs.
Zudem war, was ich bisher über Prostitution gehört hatte, alles andere als geil: Ausbeutung, Menschenhandel, Drogensucht, der Mensch als Objekt. Ich wollte nicht mit einer Sex haben, die sich dazu gezwungen sieht. Ich wollte nicht, dass sich eine von meinem Begehren abschätzig behandelt fühlt, auch nicht aus Notgeilheit heraus und auch nicht für Geld.
Es war für mich also nicht einfach, den Entschluss zu fassen, sexuelle Dienste in Anspruch zu nehmen. Doch wenn ich weiterhin auch außerhalb des Kopfes Sex haben wollte, musste ich wohl. Zuerst informierte ich mich bei Hydra und hörte, dass es durchaus Frauen und Männer gab, die diesen Job freiwillig und selbstbestimmt und nur mit dem im Spätkapitalismus üblichen Maß an Ausbeutung taten. Endlich konnte ich dem Ruf der Wildnis folgen, ohne mich als mieser Sack zu fühlen.Ich musste die Nummern der Annoncen wählen, sagen, dass ich Interesse an einem Date habe, fragen, was es kostet, wie sie aussieht und ob sie Berührungsängste bezüglich meiner Behinderung hat. Die meisten hatten. „Prostituierte sind Frauen wie alle anderen“, sagte Hydra. Und wie alle anderen kommen die meisten halt mit Behinderung nicht klar. „Damit dieser Job mit Würde ausgeübt werden kann, müssen die Huren jeden Freier, der ihnen nicht passt, ablehnen können“, sagte Hydra. Ich saß in der Diskriminierungsfalle. Um die Mädchen nicht zu diskriminieren, wählte ich Adressen an, in denen selbstbestimmt gearbeitet wird (es gibt davon in Berlin übrigens einige). Dort wurde ich abgelehnt. So wurde ich diskriminiert.
Die erste Prostituierte, mit der dann endlich etwas zu Stande kam, nahm für eine Stunde Hausbesuch 150,- DM. Sie hatte eine silberne Perücke auf und war stark geschminkt. Mit meiner schüchternen Erregung ging sie eher technisch um und gab mir keinerlei Gelegenheit, irgendeine Abschätzigkeit in unsere Begegnung zu bringen. Nach 20 Minuten hielt sie ihren Auftrag für erledigt und war verschwunden – die 150,- DM auch.
Meine Freunde bestärkten mich, nicht gleich aufzugeben – meine Hormone auch. Mit der nächsten Frau, mit der ich ein Treffen vereinbarte, verstand ich mich sofort. Als ich ihre Erregung schmeckte, war ich überrascht und gerührt. Sie machte mich glücklich.
Mittlerweile bin ich mit manchem Mädchen, das anschaffen geht, befreundet, sehe mit ihnen gelegentlich abends auch fern oder fahre übers Wochenende weg. Mit einer war ich sogar schon Schuhe kaufen – von ihrem Geld.