Die Werkstätten für Behinderte bereiten
vielen Beschäftigten eine einseitige
Arbeitswelt. Man möchte in diesem gesetzten
Raum Normalität erzeugen. Ich
habe mich da geborgen gefühlt. Gerade
während der Loslösung von der Familie
war mir dieses Konstrukt sehr angenehm.
Hier gab es ein offenes Ohr
für meine Ängste, Sorgen und Probleme.
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht,
dass mich die Werkstatt warm
gehalten hat.
Mit Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung
hatte das aber wenig zu
tun. So habe ich trotzdem immer ehrlich
ausgesprochen, was ich wollte. Ich
war ein kleiner Revoluzzer, und diese
Rolle habe ich gerne gespielt.
Zu meiner Anfangszeit bestand für einen
Behinderten, der die Werkstatt
einmal betreten hatte, kein Entrinnen.
Eine andere Option als Werkstatt gab
es nicht. Ich habe das als Freiheitsentzug
empfunden. Heute geht man ja
zum Glück andere Wege, indem man
versucht, Leute draußen, in den freien
Arbeitsmarkt, zu integrieren.
Die Werkstatt hatte nicht immer die
passenden Arbeitsangebote für mich.
Sie waren langweilig und
meiner geistigen Entwick-
Carsten Rensinghoff
Ein Vater hatte zwei Söhne, der
ältere war klug und gescheit, der
jüngere aber hatte dereinst einen
schweren Unfall, zog sich eine
Hirnverletzung und eine spastische
Halbseitenlähmung zu und
besuchte fortan nicht mehr das
Gymnasium, sondern eine Schule
für Körperbehinderte. Da diese
besondere Sonderschule im weit
entfernten Colonia lag, musste
der arme Knabe dort allein unter
fremden Menschen in einem
Heim leben. Doch er ließ sich
nicht schrecken und machte sein
Abitur.
Mit dem Abitur in der Tasche wollte
der jüngere Sohn nun etwas
Sinnvolleres als sein Bruder anfangen,
der schon geraume Zeit eine
leitende Position in einer Kaufhoffiliale
inne hatte. „Frisch auf“,
dachte er „die Behindertenszene
aufgemischt!“ und studierte Sonderpädagogik.
Mit viel Schweiß
legte er nach nur acht Semestern
seine erste Staatsprüfung ab. All
die Anstrengung hatte sich gelohnt.
Der Behinderte blickte zuversichtlich
in die Zukunft. „Zwei
Jahre Referendariat und dann bin
ich ein guter Sonderschullehrer,“
dachte er so bei sich.
Bald erfolgte dann auch sein Eintritt
in die so genannte berufliche Qualifizierungsphase.
Sicher würde das Referendariat
kein Zuckerschlecken sein.
Lieber Berater als Schraubenzähler
Von einem Behinderten, der auszog um Lehrer zu werden
„Das werden zwei harte Jahre“, rief
er. „Doch was sind schon zwei Jahre?“
Aber es kam härter, als er dachte.
Schon zu Beginn wurde ihm klar gemacht,
dass er mit seinem auffälligen
Gangbild in der LehrerInnenschaft nicht
erwünscht sei. Der Direktor der Schule
lung nicht angepasst. So musste ich
stundenlang Schrauben eintüten und
Schachteln falten. Es wurden immer
wieder Versuche gestartet, geeignete
Aufträge für mich zu finden. Leider
ohne Erfolg. Ich empfand das als lähmend
und sogar als Bestrafung, denn
ich war ja gezwungen, immerzu diese
eintönige Arbeit zu verrichten.
Im Rahmen einer Veranstaltung des Arbeitskreises
„Werkstätten für Behinderte“
hat mich eine junge Journalistin
interviewt und mich gefragt, wie
die Ausbildungsmöglichkeiten in den
Werkstätten seien. Ich habe ihr erzählt,
dass qualifizierende Weiterbildungen
und Seminare fehlten. Ohne solche
hätten die Behinderten aber wenig
Möglichkeiten, sich beruflich und persönlich
weiterzuentwickeln. Ein solches
Angebot verstand ich als Bestandteil einer
Rehabilitation, wie sie durch Werkstätten
erbracht werden soll.
Wenn es nach dem Wunsch meiner
Geschäftsleitung gegangen wäre, hätte
ich lieber nichts gesagt. Mein
Zitat wurde jedoch in einer
Zeitung der „Aktion
Mensch“ abgedruckt
und auch von der erwähnten
Geschäftsleitung
gelesen. Mittlerweile gibt es Seminare
für Kochen, Rückengymnastik,
Selbstverteidigung und PC-Bedienung.
Und etwas, was mich besonders freut:
Die Werkstatt bietet dieses Jahr ein Seminar
an mit dem Titel: „Wege aus der
Werkstatt!“ Einer der Referenten von
„Mensch zuerst“ bin ich.
Ich habe mich früh an Behindertenorganisationen
gewandt, weil ich in die
Welt hinaus wollte. Auf diese Weise
konnte ich das werden, was ich mir
erträumt habe: Referent für die Menschen
mit Behinderungen und ihre Belange
in Werkstätten.
Ich wurde oft gefragt, weshalb sich
nicht etwas ändert. Es liegt daran, das
grundsätzlich zu wenig Spielraum für
Selbstbestimmung da ist. Alles muss
laufen und finanziell machbar sein.
Auch die Gruppenleiter und andere
Angestellte können nicht so arbeiten,
wie sie es sich vorstellen.
Und dann kommt immer die Frage:
Wer ist schon selbstbestimmt? Doch
wohl keiner! Die Werkstätten sind
nach dem Gesetz Rehabilitationsträger.
Als solche haben sie
Selbstbestimmung
an- zubieten – nichts Superideales,
aber die
Suche nach Möglichkeiten für behinderte
Menschen, dass sie über sich in
ähnlicher Weise selbst verfügen können
wie nichtbehinderte auch. Mich
hat es immer zerrissen, zu wissen was
der rechtliche Auftrag ist und dass man
in der Werkstatt eine andere Auffassung
hatte.
Es ist an der Zeit die Werkstätten als
„Integrationsfirmen“ anzusehen; das
war schon immer mein Wunsch. Außerdem
fordere ich, dass man einen
Mindestlohn in den Werkstätten einführt.