Opferecke

Wie immer beantworten wir hier die wirklich peinlichen und komplizierten Fragen rings um Behinderung, die sich unsere geneigte Leserschaft schon lange stellt, aber nie auszusprechen wagt. Heute soll uns eine zunächst einmal harmlos erscheinende Frage verunsichern: Sollte man einen Menschen mit seiner Beinprothese bestatten? Dahinter steht die Frage, was alles zum menschlichen Körper gehört. Aus der Sicht von Bestattern ist diese Frage geklärt. Bei der Erdbestattung ist es möglich, aber nicht gern gesehen. Alles, was nicht verrottet, ist Jahre später, wenn das Grab abgelaufen ist und für einen anderen erneut ausgehoben werden muss, ein Problem. Das ist mit Strumpfhosen und Schuhsohlen aus Kunststoff ebenso. Wenn die Leiche aber verbrannt wird, dürfen Prothesen von Gliedmaßen nicht mit in den Ofen. Nur was im Körper ist, wird mitverbrannt. Danach werden die Schmelzen von künstlichen Hüftgelenken, Herzschrittmachern und Goldzähnen aus der Asche aussortiert. Das deutsche Bestattungsrecht ist also sehr konventionell und zählt nur das wirklich im Körper Gewachsene als zum Körper gehörig. Da ist es egal, wie sehr die Beinprothese die Individualität ihres Trägers geprägt hat, wie sehr sie nach ihm roch und wie sehr ihr unverkennbares Quietschen sein Kommen schon von Ferne ankündigte – sie kommt nicht mit in die Urne. Wenn der menschliche Körper nur als Verband von strukturierten Zellen diese hohe Bewertung erfährt, muss man natürlich fragen, ob nicht auch ein amputiertes Bein oder das Herz, das nach einer Transplantation nicht mehr benötigt wird, bestattet werden sollten? So könnte man dann schon zu Lebzeiten sein Grab besuchen. Man käme Stück für Stück unter die Erde und auf dem Grabstein wären die Amputations- und Transplantationstage vermerkt. Schön ist auch, dass es so möglich wäre, seinen linken Arm eine Trauerrede zu halten und sich danach im Kreise der Verwandtschaft gepflegt zu besaufen. Da fällt der Verlust nicht so schwer. Es versteht sich von selbst, dass nicht jedes Geschwür, das entfernt werden muss, jeder ausgedrückte Pickel gar, Eingang in die serielle Bestattung finden kann. Aber wenn man sich von Gliedmaßen und ganzen Organen trennen muss, ist es wie ein Sterben. Da wäre so etwas durchaus angebracht. Natürlich ergeben sich daraus ganz neue Fragen, z. B. ob denn das Herz eines Transplantierten, wenn er verstorben ist, wieder herausgenommen und in das Grab des Spenders gelegt werden muss, damit nicht der eine zwei Herzen und der andere gar keins hat? Ist es nicht ungerecht, dass bereits heute Menschen ohne Herz begraben werden? Oder ob die Kirchen sich dem anpassen und neue Bestattungsriten entwickeln würden? Oder würden sie dem Hergebrachten verhaftet sein und sagen: „Wir bestatten nur ganzen Menschen.“ Aber was ist dann mit den Amputierten? Werden die gar nicht mehr begraben? Und warum haben die Katholiken tonnenweise Herzen, Fingerglieder und Zungen von Heiligen als Reliquien in Gläsern und Töpfen ohne den dazugehörigen ganzen Leib? Fragen über Fragen

Comments are closed.