Schwein gehabt

Joe Monin (CC BY-ND 2.0)

Die Maske schloss Nase und Mund gut ab. Darunter war es zu warm. Das Atmen unter der Maske fiel mir schwer, es roch nach Kunststoff. Sehen konnte ich aber noch ganz gut. Zum Beispiel den leicht verängstigten Gesichtsausdruck der Krankenhaussekretärin, die mir die Maske gerade in die Hand gedrückt hatte, begleitet von der Aufforderung, sie sofort anzulegen. Erst danach fragte sie mich nach meinem Namen und meiner Adresse. Verständlich, schließlich hätte ich ihr über die Atemluft meine H1N1-Viren übertragen können.
Nur ein Wort hatte ich in der Notaufnahme des St. Hedwigs-Krankenhaus in Berlin-Mitte erwähnen müssen: Schweinegrippe. Ein Reizwort in diesen Tagen Anfang November 2009, als die „Pandemie“ gerade richtig ins Rollen kam. Noch wusste man wenig über die Krankheit, nur dass sie extrem ansteckend ist. Jeder kannte die Bild-Schlagzeilen über die ersten Todesopfer der Seuche.
Die Überweisung ins Krankenhaus hielt ich in der Hand. Meine Ärztin hatte mir geraten, mich dort untersuchen und behandeln zu lassen. Schließlich war ich „Risikopatientin“. Mein Rücken ist krumm, dadurch hat meine Lunge nur wenig Platz. Entzündungen können da leicht entstehen. Und die Schweinegrippe sollte schnell zu Lungenentzündungen führen, soviel meinte man über die Krankheit bisher erfahren zu haben.
Es hatte alles so harmlos angefangen. Auf der Fahrt im ICE war mal wieder die Rollstuhltoilette defekt. Alles komplett abgesperrt. Also musste ich nach einer umständlichen Tour durch das Großraumabteil die Normalo-Toilette benutzen – ohne Rollstuhl. Dabei musste ich mich an allem Möglichen festhalten, Nahkontakt mit der Klobrille inklusive. Eine unhygienische Geschichte. Natürlich habe ich keinerlei Beweise dafür, dass mich dort auf der ICE Toilette die H1N1-Viren befallen haben. Aber mir gefällt der Gedanke, die Bahn sei schuld daran, dass mich die Schweineviren erwischt haben.
Der Sonntag nach der Bahnfahrt verlief unauffällig. Als ich am Montag aufwachte, fühlte ich mich gut. Ich hatte einen leichten Husten, frühstückte und machte mich an meine Arbeit. Zwei Stunden später lag ich mit Fieber und Bronchitis im Bett. Die klassischen Symptome der Pandemie, dachte ich, aber fand es zugleich zu absurd und unwahrscheinlich, mir ausgerechnet Schweineseuche eingefangen zu haben.
Den nächsten Vormittag verbrachte ich mit hohem Fieber und hustend im Wartezimmer meiner Ärztin – die Arzthelferinnen hielten es offenbar für unnötig, mich sicherheitshalber von den anderen PatientInnen fern zu halten. Die Ärztin schob mir drei überdimensionale Wattestäbchen in Rachen und Nase, schickte diese zum Gesundheitsamt und bekam am Morgen darauf den positiven Testbefund. Das bisher kaum untersuchte antivirale Mittel „Tamiflu“ hatte sie mir da schon vorsorglich verordnet.
Nun im Krankenhaus erstmal zum Lungencheck in die Röntgenabteilung. „Setzense die Maske aber ma bitte gleich wieder auf“ ruft die Röntgenassistentin eine Sekunde, nachdem ich die Maske zum Pullover-Ausziehen kurz auf den Röntgentisch abgelegt hatte. Auf dem Weg zurück zur Notaufnahme wird allgemein betreten geguckt. Ich glaube Erleichterung zu sehen in den Blicken, als ich in den vollen Fahrstuhl nicht einsteige und auf den nächsten warte. Auf dem Gang der Notaufnahme dann der erste Kontakt mit der behandelnden Ärztin. Die Stichworte „hohes Fieber“, „Husten“ und „Tamiflu“ reichen aus, dass Leute, die auf dem Gang sitzen und warten, sich mit den Jackenkragen Teile ihres Gesichts bedecken.
Die Gesichtsmaske markiert mich als virenschleudernde Aussätzige, als Gefahrenquelle für die Gesellschaft. „Stigma“ nannte der Soziologe Erving Goffmann so ein Symbol, das je nach kulturellem Kontext Auskunft über seine TrägerInnen erteilt. Gleich zweifach bin ich Stigmatisierte, meine gesellschaftlich ohnehin hoch problematisch besetzte Identität als Rollstuhlfahrerin („leidend, hilflos, abhängig“) wird potenziert durch das Symbol der Pandemie. Und schon der Rollstuhl selbst ist umgeben vom Ruf der Infektion. Obgleich jeder weiß, dass Behinderungen im Allgemeinen nicht auf Andere übertragbar sind, stellt sich im Umgang von Behinderten und Nichtbehinderten unbewusst immer wieder der alte Aberglaube her: Es könnte ansteckend sein. Weit kann der Bogen sein, der auf dem Gehsteig um einen Rollstuhl gemacht wird. Ängstlich können die Blicke sein, wenn ein Rollstuhl an dem an die Hauswand gepressten Passanten vorbeifährt. „A Penumbra of Contamination“ – der Schatten der Kontamination – umgebe das soziale Symbol Rollstuhl, schrieb einmal der Anthropologe Robert Murphy, der in seinem Buch „The Body Silent“ seine eigene fortschreitende Lähmung als „ethnologische Reise in ein unbekanntes Land“ erforscht hat.
Nach abermals langem Warten (mittlerweile in einem abgetrennten Raum mit einem Schild „Vorsicht, Infektionsgefahr!“) gibt ein weiterer hinzugezogener Arzt Entwarnung: Keine Zeichen von Entzündung sind in meiner Lunge zu entdecken. Auch mein Blutbild ist in Ordnung. Das Blut hatte mir eine Krankenschwester abgenommen, die komplett in Schutzkleidung gehüllt war. Natürlich trug auch sie einen Mundschutz. Mit den gummibehandschuhten Händen, mit denen sie mich angefasst hatte, berührte sie Türklinken und medizinische Geräte. Dass dieses ganze intensive Infektionsabwehren eigentlich ein ziemlich hilfloses, zum Scheitern verurteiltes Theater ist, hatte ich schon die ganze Zeit vermutet. Der Arzt meint, man solle die „neue Grippe“ (klingt schöner als „Schwein“) mal nicht so ernst nehmen. Er entließ mich in die heimatliche Quarantäne: Bettruhe, am besten keinen Besuch empfangen, meine Mitbewohnerinnen sollten mir das Essen vor die Tür stellen. Und dann sei in ein paar Tagen wahrscheinlich alles wieder beim Alten. Und so war es dann auch. Ich durfte wieder raus – und bin seit dem wieder in meinem vierrädrigen mobilen Kontaminations-Symbol unterwegs.

von Rebecca Maskos

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