Krüppel aus dem Sack

Die Zeiten, wo Leute wie ich, also Leute im Rollstuhl oder an Krücken, Leute mit Buckeln oder Zuckungen, sich selbst als Krüppel titulierten, sind längst vorüber. Schon lange ist politisch korrekter Sprachgebrauch angesagt. Und so heißt es schon ewig „Behinderte“.
Es dauerte nicht lange und es wurde befunden, dass dieses alleinige Abheben auf eine Eigenschaft, noch dazu auf eine abwertende Eigenschaft, auch diskriminierend sei. Es wäre lange genug von Behinderten die Rede gewesen. Wir müßten nun endlich einmal Wert darauf legen, dass von behinderten Menschen, besser noch von Menschen mit Behinderungen gesprochen würde.
Doch ich will mich nicht so bezeichnen. Es ist mir einfach peinlich, mein Menschsein so herauszustellen. Dieser Sprachgebrauch ist auf den ersten Blick wohlmeinend und pädagogisch. Das gefällt mir schon nicht, wenn ich so übergut, so besonders als Mensch gehandelt werde. Da ist etwas faul. Bei genauerem Hinhören frage ich mich nämlich, was es für Gründe gibt, so zu tun, als bestünde ernsthaft Sorge, dass un­sereins mit behinderten Tieren verwech­selt wird.
Andere fanden den Sprachgebrauch „behinderte Menschen“ immer noch zu brutal und wollten mich als „Mobilitätseingeschränkten“ durch die Moderne rollern lassen. Die nannten dann auch allen Ernstes Kleinwüchsige (ich gebe zu, „Lillliputs“ klingt sehr seltsam) „vertikal Herausgeforderte“ und Särge „Erdmöbel“. Aber die konnten sich nicht durchsetzen. Schade, das wäre wenigstens lustig geworden. Ich weiß, eigentlich müßte ich „der/die Behinderte“ schreiben, um der verblödeten Leserschaft klarzumachen, dass ich nicht nur die Männer meine. Oder ich rede von mir als „Rollstuhlfahrer­In“, weil ungerechterweise bisher immer nur männliche Sammel­begriffe gebraucht wurden.
Wenn es schon um politisch korrekte Sprache geht, sollte auch im Randgruppenbereich der Menschen mit Behinderungen Konsequenz herrschen: Da man/frau uns RollstuhlfahrerInnen im allgemeinen Sprachgebrauch so über­geht/fährt, müßten wir Neuregelun­gen einfordern. Wie wär´s mit: „mir geht´s/fährt´s so lala“, „ein guter Verlauf/roll“, „längst vergangene/fahrene Zeiten“, „Vertreter/roller“ oder „Stand/sitzpunkt“. Wenn dann anstatt von einem „geilen Abgang“ von einer „geilen Abfahrt“ gesprochen wird, können vor allem SkifahrerInnen ohne weiteres nachvollziehen, worum es geht. Okay – RollstuhlfahrerInnen fahren relativ selten Ski. Wie man/frau´s aber auch macht… Na ja, der Kontext wird´s schon bringen.
Jedenfalls sind wir dann auch einverstanden, dass zum Ausgleich von „Erfahrung/wande­rung“ gesprochen wird, oder Onkel Heinrich „einen fahren/gehen“ lässt. Verständnisprobleme könnte es lediglich bei Sätzen wie diesem geben: „Ein derartig schwe­res Vergehen/fahren fordert auch ein entsprechend hartes Verfahren/gehen.“
Ich denke, wir sollten die Tatsache mehr beachten, dass in Zeiten, in denen offiziell nur noch von „Menschen mit Behinderungen“ geredet werden darf, auf dem Schulhof oder in der Disco das Wort „behindert“ Furore gemacht hat. Ein Wunder der Integration? Nein, „voll krank“ oder „voll behindert“ sind beliebte Abwertungsfloskeln. Das passt dazu, dass diese Kolumne „Krüppel aus dem Sack“ heißt. Ich soll also dieser Krüppel sein, der wie im Märchen der Knüppel aus dem Sack heraus fährt und auf die Leute eindrischt? Das Schreck- und Zerrbild, das weh tut? Ist ja voll behindert, ejh! Wenn das alles ist, mach ich nicht mit.
Deshalb greife ich wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm nach dem anderen Teil der Metaphorik im Titel dieser Kolumne, dem Sack, dem Ursprung meines Mannseins nahe am Zentrum meiner Männlichkeit gelegen. Allerdings greife ich tatsächlich nur metaphorisch an meinen Sack, denn meine Muskeln sind so schwach, dass ich meine Hand aus eigener Kraft nicht da hin kriege. Ich kann es mir also nicht selbst machen. Deshalb bin ich immer mal im Bereich sexueller Dienste unterwegs. Aber davon später…

P. R. Iapos

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