Der Mann ohne Gleichgewichtssinn

Es gibt dutzende von Büchern, die sich mit der Verarbeitung von Krankheiten und Behinderungen auseinandersetzen, oder das ein oder andere Wunder thematisieren, was mit selbigen in Verbindung steht.

Um sie zu finden, muss man nur die Besser-Leben-Ecke in einem Buchladen aufsuchen. Aber selten entdeckt man dort etwas wirklich Unterhaltsames, es sei denn, man steht auf Tagebücher und Berichte, aus denen einen aus jeder Zeile Selbstmitleid und Schicksalsergebenheit anspringen.
Der Bestseller von Maximilian Dorner, erschienen 2008 und nun schon das dritte Mal aufgelegt, ist da ganz anders, obwohl auch „Mein Dämon ist ein Stubenhocker“ ein Tagebuch ist – eins über ein Leben mit der Krankheit Multiple Sklerose. Und das legt natürlich den Verdacht nahe, dass auch hier wieder jemand erklärt, wie ihn seine Krankheit zu einem besseren Menschen gemacht hat.
Wer das Buch in die Hand nimmt, den lässt Maximilian Dorner auf humorvolle, sarkastische und brutal-charmante Art an einem Jahr seines Lebens teilhaben. Er beschreibt Urlaubsreisen und Begegnungen mit Menschen, aber auch alltägliche Situationen, wie das Aufsuchen einer Behindertentoilette. Das Erfrischende an diesem Tagebuch ist seine unverstellte Direktheit. Der Autor stellt sich die Fragen eines Menschen, der ein Anfänger im Behindertsein ist. Aber er ist keinesfalls ein Anfänger im Schreiben. In schnörkelloser, präziser und humorvoller Sprache geht er mit uns durch seine Gedanken und Entdeckungen zum Thema Behindertsein. So begleiten wir ihn mit kopfschüttelndem Staunen und zustimmend amüsiertem Nicken und oftmals dem Gefühl: Ja genauso ist es! Man ist hingerissen, wenn er über Ausmaße und Bauweise einer Behindertentoilette philosophiert. Und wenn er den Leser dabei zusehen lässt, wie er vom Hilfspersonal am Flughafen ungefragt in einen Rollstuhl gesetzt und ins Flugzeug geschoben wird, obwohl er eigentlich noch selbst laufen kann, dann ist die Betroffenenperspektive auf keinen Fall die Opferperspektive.
Dieses Buch ist eine ironische Reise zu sich selbst (das klingt jetzt wieder furchtbar nach Beratungsliteratur), die mit leichtfüßigem Sarkasmus und genialem Sprachwitz geschrieben worden ist. Sehr lesenswert für alle, die ihren Dämon kennen und auch nicht ganz so ernst nehmen und für alle anderen selbstverständlich auch.

176 Seiten, Verlag: Zabert Sandmann GmbH, Neuauflage (1. März 2008)

von Marie Gronwald

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