„Und irgendwann gibt es einen Kurzschluss…“

Mondkalb: Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?
Dorner: Ich kann mir das Leben gar nicht ohne vorstellen. Das ist eigentlich die Form, wie ich lebe: zu schreiben.

Mondkalb: Wie würden Sie Behinderung definieren?
Dorner: Ich tue mich ganz schwer mit Definitionen in einem Satz, weil ich immer denke, dann müsste ich ja gar keine Bücher schreiben, wenn ich alles in einem Satz definieren könnte. In zwei schaff ich es auch nicht.
Ich glaube, ich brauche einfach immer ein ganzes Buch, bis ich mir irgendwie klar werde, und will dann auch nicht so auf einen Satz heraus, sondern das es nach hinten offen bleibt.

Mondkalb: Sie haben sowohl fiktive als auch autobiographische Texte geschrieben. Was ist schwieriger: sich selbst zu thematisieren oder fiktive Texte zu schreiben?
Dorner: Das ist ganz unterschiedlich. Ich glaube, auch in fiktiven Texten ist man ganz nah an dem eigenem Erleben. Ich versuche auch immer, bei diesen Ich-Erzählungen oder bei solchen Geschichten, das so zu nehmen wie eine Figur, also auch ein bisschen Distanz zu haben.

Mondkalb: Wie hat es mit „Mein Dämon ist ein Stubenhocker“ angefangen?
Dorner: Das ist aus einer Caféhaus-Begegnung entstanden. Ich habe den Verlagsleiter kennengelernt und der hat mich gefragt: „Fühlst Du Dich eigentlich behindert?“ Ich wusste darauf eigentlich keine Antwort und daraufhin hat er gesagt: „Tja, dann schreib doch mal darüber.“

Mondkalb: Wie reagieren Sie, wenn Sie schief angeguckt, angelächelt werden, oder komische Bemerkungen über Sie oder Ihr Handicap gemacht werden?
Dorner: Ich glaube, ich hör weg. Also, ich habe bisher gar keine gehört. Ich glaube, ich hab`s mir schon öfter mal eingebildet, so eine Situation, als dass ich es wirklich erlebt habe. Oder ich vergesse das sofort wieder. Das kann auch sein.

Mondkalb: Sie schreiben in Ihrem zuletzt erschienenen Buch, dass Ihnen am meisten aufstoßen würde, dass Scham einsam macht. Warum muss man sich gerade, wenn man eine Behinderung hat, die sichtbar ist, so oft mit Gefühlen wie Scham oder Mitleid auseinandersetzen?

Dorner: Wenn ich das wüsste. Ich glaube, es hängt schon immer mit dem Thema Autonomie zusammen. Man verliert mit der Behinderung irgendwie Autonomie und mit diesem Verlust kommen ganz viele Fragen von Scham auf und Mitleid und um Hilfe bitten und so – und ab da ist man mittendrin.

Mondkalb: Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, sich dem Gefühl der Scham beziehungsweise des Mitleids zu stellen oder es auch zu ignorieren, wenn man eine Behinderung hat?
Dorner: Ich will niemandem irgendetwas vorschreiben. Ich finde, wenn jemand etwas ignorieren will, ist das völlig legitim. Mir hat das geholfen, mich dem eher zu stellen und für mich das zu benennen und eine Sprache dafür zu finden. Aber jeder, der es anders macht, der soll es auch anders machen.

Mondkalb: Wie kann man Scham und Mitleid abtrainieren?
Dorner: Das ist genau dieselbe Antwort. Ich weiß gar nicht, ob ich sie abtrainieren möchte – mir nicht und anderen Leuten erst recht nicht, weil ich finde, das wäre eine Anmaßung, sich da drüber zu stellen und zu sagen: Du musst dir das so und so abgewöhnen.

Mondkalb: Wie ist das für Sie wenn Sie mitkriegen, dass sich Andere für Sie schämen, für Ihre Art zu gehen etc.?
Dorner: Wenn sich Andere für mich schämen, dann ist das deren Problem.

Mondkalb: Sind Sie der Meinung, dass sich zu schämen unmittelbar mit dem Gefühl, dass etwas nicht der Norm entspricht, zusammenhängt und warum ist das so?
Dorner: Da kommt mal wieder das mit den Normen. Alles, was nicht normgemäß ist, da liegt Scham dann immer nahe. Zumindest bei den eigenen Normen.
Ich glaube, das ist der Ausgangspunkt, dass da irgendwann so ein Kurzschluss passiert. Ich habe das irgendwann mal versucht zu beschreiben, dass da so ein Kabel ist, da fließt Energie durch und irgendwann gibt es einen Kurzschluss, dann kommt Scham.

Mondkalb: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit bzw. was kann man als Nächstes von Ihnen erwarten?
Dorner: Wahrscheinlich lese ich nächstes Jahr ein Buch über meine Heimat Bayern und dann schreibe ich einen Roman.

Interview: Marie Gronwald

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