Also es war nicht der erste miese Bumsschuppen, in dem ich war. Und vor Zuhältern, Dealern und anderen „Individuen“ hatte ich schon lange keine Angst mehr – die gab’s im Fernsehen. Außerdem bin ich immer „sauber“ geblieben, wie eine der Nutten so treffend formuliert hatte, weil ich nicht fickte. Ich strippte, stand am Ende meiner Darbietung splitterfasernackt auf der Bühne…
Die Adresse hatte ich von einem der Mädels. In dem Geschäft ist es üblich, zu rotieren. Wer will schon dauernd dieselben Gesichter sehen – Pardon: dieselben Titten und Ärsche.
Hans kam zweimal die Woche in den „Cage Club“. Er hatte eine gute Rente. Auch die von seiner Frau. Er war erst kürzlich Witwer geworden. Aber in den Tabledance-Club war er schon vorher gegangen. Er grinste mich schief an. Eigentlich grinste nur eine Hälfte seines Gesichtes. Die andere blieb steif. Seit seinem Schlaganfall konnte er nicht mehr so richtig… Egal. Jedenfalls wenn Hans lächelte wurde er tatsächlich rot – wie sympathisch. Jemand, der in einem Bordell rot wird, muss sich irgendwas bewahrt haben. Was das war, wusste ich nicht. Vielleicht der Glaube an das Wunder zwischen zwei Menschen. Irgendetwas, dass ihnen von einer Sekunde auf die andere sagt: Du, ich will Dich. Oder ich sterbe. Gleich hier. Ich werde nie wieder die Sonne sehen. Nie wieder den Duft der Blumen im Frühling bemerken oder das silberne Wasser eines Sees in einer klaren Mondnacht. – Aber alles der Reihe nach…
Kunden wie Hans wollten einfach nur quatschen. Und ein wenig Feedback von ihrem Gegenüber. Die kamen nicht um zu ficken. Bisschen anschauen, bisschen trinken, bisschen grabschen vielleicht. Wenn’s keiner sieht. Denn das grenzte schon wieder an sexuelle Dienstleitungen – und die hatten ihren Preis, waren streng reglementiert: Sitzen an der Bar, mit einem Freigetränk plus Eintritt. Gespräch mit Prostituierten, einen Piccolo für die Dame plus Getränk für den Herrn. Kino mit und ohne Handentspannung. Privatdance nur ohne Anfassen. Halbe Stunde Zimmer. Und die verschiedenen Extras auf Zimmer. Sekt mit Dame auf Zimmer und so weiter. Umsonst war nicht mal der Tod im Bordell.
Das schnelle Geld ließ auf sich warten. Und das taten auch wir dann Nacht für Nacht. Wenn bis halbzwei keiner mehr kam, blieb’s tote Hose, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wir lungerten frierend auf den Sesseln herum und versuchten uns die lange Weile zu vertreiben. Beliebt war Rätselraten. Oder wir schickten den Türsteher zur nächsten Pizzeria. Dann aßen wir uns warm. Manchmal legten wir eine Scheibe ein und tanzten zu zweit an den Stangen –nur so für uns, um nicht ganz aus der Übung zu kommen. Wir tranken nie viel. Den Durst hoben wir uns für die Kunden auf. Obwohl ich gestehen muss: in dem Piccolo für die Dame war nur Sprudel. Das durfte ich Hans nicht erzählen, aber der wusste das sowieso schon. Schließlich war er Stammgast.
Niemand mochte Hans. Wegen seiner Behinderung. Ich gebe zu, als er so durch die Tür geschlurft kam, habe ich mich auch im ersten Moment erschrocken. Er sah grotesk aus. Dieses halbe Grinsen im schiefen Gesicht! Es hing ja nicht nur der Mundwinkel herunter, sondern auch ein Auge, eine Schulter, eine Hand, und er zog ein Bein nach. Quasimodo muss so ausgesehen haben (sicher hatte der Arme ebenfalls einen Schlaganfall erlitten).
Doch sonst war Hans gut drauf und stets sauber gekleidet. Er trug immer einen feinen Kamelhaarmantel, aus dem ihm der Türsteher heraushalf.
Mich behandelte Hans immer wie eine Dame. Er war eben ein Kavalier alter Schule. Er erzählte mir, dass er Psychiater sei, aber seine Praxis schon vor einiger Zeit aufgegeben hatte. „Sollen sich doch andere um die Bekloppten kümmern“, meinte er scherzhaft. „Ich will noch ein bisschen das Leben genießen. Viel ist mir ja nicht geblieben. Die Frau ist tot, und Kinder wollten wir keine.“ Verreisen ginge nicht. Denn wer wollte schon, wenn er Vollpension gebucht habe, dreimal täglich einen Krüppel am Tisch haben? Und mit der modernen Kunst könne man ihm gestohlen bleiben. – Ja, früher! Da war er regelmäßig ins Theater gegangen, ins Kino, in die Oper und in Ausstellungen. Seine Frau und er hätten auch viel gelesen.
Eigentlich hatten wir genug Themen. Hans staunte nicht schlecht, als ich ihm verriet, dass ich vom Theater stamme.
„Was macht denn so ein Mädel wie du hier?“
Und so erzählte ich ihm meine Geschichte. Von der Wende, dem Kind, meiner Arbeitslosigkeit und dass ich einen Freund hatte, mit dem ich eine Firma gründen wollte, eine Künstleragentur. Die Werbung war schon im Druck. Künstler von A bis Z. Von Alleszeichner bis Zauberkünstler. Und Striptease-Tänzer und Tänzerinnen wollten wir vermitteln. Aber nicht an Bordelle, sondern für Hochzeiten, runde Geburtstage und Junggesellenabschiede. Ganz legal, mit Steuernummer und so.
Hans staunte, klopfte mir auf die Schulter, so dass sich gleich eine Reihe der Goldpaletten löste und bei meinem nächsten Auftritt herabrieselte. „Prachtmädel! So ist’s richtig, lass den Kopf nicht hängen! Fang was Neues an! Wird bestimmt ein tolles Geschäft. Siehst gut aus und kannst reden.“
Ja, reden konnte ich. Und Hans hörte mir zu. Wir wurden Freunde. Wenn er hereinkam, stand schon der Piccolo auf meinem Platz. „Von Opi!“, meinte die Barfrau herablassend. Ich sagte nie „Opi“ zu ihm. Warum auch? Er war ein Mann wie jeder andere.
„Erzähl mir was, mein Goldmädel“, sagt er immer und grinste übers ganze Gesicht. Na ja, zumindest über die gesunde Hälfte. Ich fragte ihn, ob er als Psychiater in seinem Leben nicht schon genug Geschichten gehört hätte. Er aber schüttelte den Graukopf und meinte: „Nee, die waren längst nicht so unterhaltsam wie deine.“
Manchmal vergaßen wir das Bestellen. Er trank stets sein Freigetränk und ich bekam meinen Piccolo. Mehr nicht. Die Barfrau blickte mich dann wütend an.
Eines Tages sagte Hans, er wolle mich für einen Privatdance buchen. „Oder besser gleich für zwei!“ Dann hätte er mich wenigstens mal für sich allein. Sofort hellte sich die Miene der dünnen Blonden hinterm Tresen auf. Das einzige Mal, dass ich sie habe lächeln sehen.
Ich nahm Hans bei der gesunden Hand und zog ihn hinter mir her, den schmalen Gang entlang, bis zum letzten Tisch. Der „Cage Club“ war, wie der Name schon sagt, ein Käfig-Club, der aus einer großen Bar, einem langen schwindelerregend hohen Laufsteg und vielen kleinen Sitzgruppen bestand, die kreisförmig angeordnet waren. Das Besondere an dieser Tabledance-Bar war der bizarre Charakter. Die Sitzgruppen waren mit Käfigstangen abgegrenzt, und an den Wänden hingen Torsos, bekleidet mit Leder- und Lackgeschirren.
Wir verzogen uns in den letzten dieser Käfige, um den strengen Blicken der Barfrau zu entgehen. Sie legte uns kuschelige Musik ein und ich tanzte. Ich tanzte nur für Hans…
Ein bisschen mulmig war mir plötzlich doch. Bisher hatten wir nur miteinander geredet. Einen behinderten Mann sexuell zu stimulieren, erschien mir irgendwie unanständig.
Aber Hans benahm sich ganz normal. Er strahlte und sah lächelnd zu mir hinauf. Denn er hatte es sich auf dem Ledersofa gemütlich gemacht, während ich mich erotisch vor ihm rekelte. Die Musik nahm mich ganz in Anspruch. Tanzen, ja tanzen war meine Leidenschaft. Ich tanzte für mein Leben gern. Ich vergaß alles um mich herum und bemerkte wie mir Flügel wuchsen und ich mich langsam erhob, zur Decke hinaufstieg und hinunterschaute – ins Gesicht des dankbaren Hans, den ich vollkommen glücklich machte.
Ich sah auch die neidischen Blicke der anderen Tänzerinnen, die sich über Hans lustig gemacht hatten; über seine Art zu gehen, seine Art zu lachen und seine unbeholfene Art die Geldbörse aus der Hosentasche herauszufingern, ihr mit zitternden Händen einen kleinen Schein zu entnehmen und der Barfrau meinen Piccolo zu bezahlen. Das Wechselgeld steckte er dann in meine Lackstiefel. Ich kicherte und beim nächsten Tanz drückten die Zwei- und Fünfmarkstücke wohltuend. (Das war dann eine Kinokarte für meine Tochter!)
Ich sah die mufflige Barfrau, wie sie mit ihrem blonden wippenden Pferdeschwanz an uns vorbeirauschte, um zu überprüfen, ob ich Hans nicht eine „Sonderbehandlung“ zukommen ließ. Unser Verhältnis war ihr ein Rätsel.
„Komm sofort nach vorne, ihr habt schon überzogen!“ herrschte sie mich an.
Da fiel ich von der Decke herunter und prallte unsanft auf den Boden, den Boden der Realitäten. Ich saß nackt auf Hans‘ Schoß und ließ mir widerstandslos von ihm den Hals, die Schultern und die Brüste streicheln. Er tat das so sanft, ohne mich in meinen Träumen zu stören. Ich hatte das gar nicht bemerkt. Mit einem Seufzer erhob ich mich und ging zur Bar, setzte mich brav auf meinen Hocker. Hans kam hinterhergeschlurft.
„Ist spät geworden“, sagte er. „Ich werd mal besser gehen. Wir sehen uns übermorgen wieder, ja?“ Erwartungsvoll sah er mich an. Das Grinsen war weg. – „Klar Hans. Bis übermorgen!“
Hans war schon halb auf dem Weg zur Tür, als er noch einmal zurückkam. Er holte in gewohnter Manier seine Geldbörse hervor, zählte den Inhalt, dann schüttete er kurzentschlossen alles in den Schaft meiner Lacklederstiefel.
„Mehr hab ich heute leider nicht!“
„Ist schon gut, Hans. Das macht ja nichts. Von mir aus brauchst du das nicht zu tun. Wie kommst du denn jetzt nach Hause?“
„Ich lauf ein bisschen. Frische Luft tut mir gut. Ich wohn ja gleich um die Ecke.“
Da steh ich plötzlich auf und gebe Hans einen Kuss auf die Stirn. Sein schiefes, blutunterlaufendes Auge tränt ein wenig. Aber das tut es meistens.
Ich habe Hans nicht wiedergesehen. Denn ich flog noch in dieser Nacht aus dem „Cage Club“, dem Käfigclub hinaus. Meine Gage behielt die Barfrau einfach ein.
„Hast ja genug von ‚Opi’ gekriegt!“, sagte sie.
Die anderen Mädels grinsten schadenfreudig. Irgendwie wirkten sie grotesk. So, wie sie dasaßen, halbbekleidet in Billiglackwäsche und Strickjacken, gefangene Gespenster der Nacht. Das konnte aber auch an der grellen Beleuchtung liegen. Der Türsteher hatte das Putzlicht eingeschaltet und suchte die Sitzmöbel nach irgendwelchen verräterischen Gegenständen ab. Manchmal fand er einen Lippenstift oder eine Modezeitschrift, die eines der Mädels vergessen hatte.
Ich schluckte meine Wuttränen herunter und dachte: ‚Bleibt ruhig bis ans Ende eurer Tage im Käfig sitzen! Ich fliege davon.’ Nur schade, dass ich Hans nicht mitnehmen konnte. Aber meine Visitenkarten waren noch im Druck und so hatte ich Hans meine Telefonnummer nicht gegeben.