Rollstuhl im Rollenspiel

Rollstühle kommen in Computerspielen vor allem in zwei Rollen vor: als Sportgerät und als Transportmittel für die ganz fiesen Gegner. Frühestes redaktionsbekanntes Game ist eine abgewandelte Version des Autorennspiels „Le Mans“ (1982) für den C64. Hier fahren die Spieler statt mit Rennwagen mit Rollstühlen um die Wette. Aber auch neuere Produktionen wissen das Vehikel zu nutzen. Im berühmt-berüchtigten Grant Theft Auto IV kann die Hauptfigur Nico Bellic als Nebenhandlungsstrang mit einem verlassenen Rollstuhl einige Stunts fahren, die Aaron Fotheringham (Rollstuhlartist, der als erster und einziger Mensch bisher einen backflip mit Rollstuhl geschafft hat) zur Ehre gereichen würden. Rollstuhlfahrende Widersacher begegnen einem in Egoshootern wie Rise of the Triad, in dem man vom Oberbösen Sebastian „Doyle“ Krist aus dem Rollstuhl unter Beschuss genommen wird.
Da nicht alle unsere LeserInnen genug Geld haben, um sich mit DOOM und Counter Strike aufs Sonderschulmassaker vorzubereiten, haben wir uns kostenlosen Flash-Games zugewandt. Auf dem Prüfstand stehen vier sehr unterschiedliche Spiele – nämlich: Wheelchair-Race, Handigo-The Game, CDX und Pepe Pillz.

„In case you didn’t notice: This is a hospital, not a playground“ – Wheelchair.Race
Wer nicht schnell genug auf Eingabeaufforderungen reagiert, wird mit oben genanntem Satz angeschnauzt. Das ist nicht nur schön selbstreferentiell, sondern auch realistisch. Wer – egal in welcher Rolle – Zeit in medizinischen Einrichtungen verbracht hat, wird diesen Satz schon einmal gehört haben. Das Spiel selbst ist recht simpel. Als Pfleger muss man Patienten quer durchs Krankenhaus in die richtige Abteilung bugsieren. Wenn man irgendwo aneckt, erhält man Schadenspunkte und wird fachgerecht angemeckert. Außerdem muss man dem hochnäsigen Personal ausweichen, das auf den Fluren wimmelt und nicht bereit ist, nur einen Zentimeter zu weichen.

Fazit:
Das Spielkonzept ist simpel, vermag aber zu fesseln. Insbesondere Quietschen und Gummispuren bei Vollbremsungen sind schlichtweg geil.

Goodies = Gutmenschen – Handigosolidaires
Viel Pädagogik und wenig Spielspaß gibt´s auf der von „Handicap International“ eingerichteten Seite Handigosolidaires. Unter dem Menüpunkt „Goodies“ landet man bei einem Spiel, das mit guten Absichten und Geld von der EU produziert wurde. In drei verschiedenen Modi steuert man eine Blinde bzw. einen Rollifahrer durch die Stadt oder fängt Gegenstände auf. Behinderung ist dabei Nichtbehinderten offenbar nicht einmal virtuell zuzumuten. Denn anders als in den meisten Spielen ist man nicht die Figur, sondern hilft ihr lediglich. „Speedigo kommt wieder mal zu spät. Hilf ihm, Rochongo so schnell wie möglich zu finden, indem du unterwegs so viele Punkte sammelst, wie du finden kannst. Alles klar? Hier können schon die Jüngsten ihr Helfersyndrom antrainieren.
Einige Figuren fangen an zu weinen, wenn man ihnen mit dem Rolli gegens Schienenbein fährt oder mit dem Langstock auf die Füße haut. Das könnte ganz lustig sein. Leider soll einem auch das Ausagieren von Nebenstrang-Sadismus verleidet werden. Zwar gibt es keinen Punktabzug, aber wenn man eine Runde lang keine Figur anrempelt, wird man auch noch mit einem „Mitmenschlichkeits-Bonus“ überpädagogisiert.

Fazit:
Klicke lieber nicht den Link „Tell a friend“. Es könnte als Beleidigung verstanden werden.

„What have you done to yourself Adam?“ – CDX

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Großbritannien hat ja den Ruf be/enthinderungpolitisch immer ein Stückchen voraus zu sein. Für CDX ist das absolut zutreffend. Das Adventure der BBC kommt ohne die übliche Gutmenschlichkeit aus.
Adam ist nach einem Motorradunfall mehrfachbehindert. Er sitzt im Rollstuhl, ist überaus lichtempfindlich und hat auch noch das Gedächtnis verloren. Weder kann er das kahle und abgedunkelte Zimmer verlassen, noch weiß er, wer die Leute sind, die Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen. Schritt für Schritt muss Adam herausbekommen, in welche Geschäfte er vor dem Unfall verwickelt war.
Nachdem man erste Hinweise gefunden hat, muss man sich dann auch gleich mit unschönem Besuch beschäftigen: Zwei miese Typen, die Adam verhören und bei den falschen Antworten auch gehörig foltern.
Außerhalb der eigenen vier Wände kann Adam nur mit der Ex-Freundin, die sich auf dem Anrufbeantworter verewigt hat, agieren. Via Telefon kann er sie bitten, einige Aufgaben für ihn zu erledigen. Leider ist die Ex nicht sonderlich gut auf Adam zu sprechen, weil er sich bisher offenbar als egoistisches Beziehungsarschloch aufgeführt hat. Schon in der vorwurfsvollen Begrüßung „What have you done to yourself Adam?“ wird klar, hier ist mit Mitleid nichts zu holen. Da sich die Abhängigkeitsverhältnisse ein wenig verschoben haben, gilt es die Bedingungen zwischenmenschlicher Beziehung neu auszuhandeln.

Fazit:
Die MacherInnen des Spiels haben so ziemlich alles richtig gemacht. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass Behinderung nicht im Vordergrund des Spiels steht, sondern einfach unhinterfragte Voraussetzung ist. Die Grafik ist für ein Online-Spiel großartig. Die teilweise gefilmten Sequenzen sind gut gemacht und mitunter richtiggehend verstörend.

Keine Pillen für Mr. Herbert – Pepe Pillz Teil 1 und Teil 2

Mittlerweile liegt in der zweiten Ausgabe „Pepe Pillz“, ein simples Jump & Run – Spiel, vor. Mr. Herbert ist ein renitenter älterer Herr im Rollstuhl, der auf die ewigen Aufforderungen „It’s time to take your pills Mr. Herbert“ oder „It’s time to take your bath, Mr. Herbert“ mit Flucht reagiert. Als SpielerIn muss man ihn dann über allerlei Hindernisse springen lassen, wobei er charmante Sprüche ausstößt.

Fazit:
Das Spiel ist erfreulich unpädagogisch. Die Dialoge zwischen der Krankenschwester und Mr. Herbert sind lustig gemacht. Aber die simple Spielstruktur vermag nur kurze Zeit zu fesseln.

 

von Stefan Gerbing

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