Krüppel aus dem Sack

In der zweiten Ausgabe dieses Blattes waren Werbeanzeigen für die Bordelle Liberty und Prestige abgedruckt. Das sorgte bei unserem Trägerverein und auch innerhalb der Redaktion für Kritik, die darin mündete, dass derartige Inserate
nicht mehr gedruckt wurden. Warum sollten wir etwas fördern, wo Frauen für Geld fremden Männern ihren Körper zur Verfügung stellten, damit diese mit ihm machen konnten, was sie wollten? Und warum sollten wir etwas bewerben, womit auch noch Dritte Profit machten? Und was hatte das alles mit Behinderung zu tun,
außer dass alle Welt den Eindruck bekommt, bei Sex und Behinderung wären ausschließlich Sexarbeiter gefragt? Hauptsache, man muss sich nicht mit der Problematik von körperlichen Normen, Schönheisidealen und dem eigenen Unvermögen auseinandersetzen.
Dass Otto Normalficker die ganze Problematik von sich auf die Professionellen schiebt, ist eine Gefahr. Andererseits ist das Milieu ein entscheidender Punkt, an dem sich Sexualkultur ausformt und weiterentwickelt. Viele Männer nehmen regelmäßig Liebesdienste in Anspruch, andere seltener. Die Statistik sagt jedenfalls, dass jeder im Laufe seines Lebens Kontakt damit hat. Und die vielen Dienstleisterinnen sind ja auch keine Aliens und haben familiäre Einbindungen. So wirkt, was dort geschieht, in eheliche Schlafzimmer und private Spielwiesen hinein. Gut also, wenn Behinderung dort vorkommt. Ich freue mich jedenfalls, dass sich fast zwei Jahre später, in dieser Ausgabe, nun wieder Werbung solcher Art findet. Die Mitglieder der Redaktion stehen dem weiterhin mit unterschiedlichen Haltungen
gegenüber, aber auch die eher kritischen können damit leben. Der Redakteur für alles Schöne hat überzeugen können.
Zunächst einmal damit, dass es in den meisten Fällen eines Prostitutionsgeschäftes nicht so ist, wie die meisten meinen, dass nämlich der Freier gegen Geld mit dem Körper der Hure machen kann, was er will. Es werden mehr oder weniger konkrete sexuelle Handlungen vereinbart. Wenn es gut geht (wenn die Chemie stimmt), dann haben beide Sex miteinander und der Freier bezahlt. In den meisten Fällen machen die Frauen die Vorgaben, indem sie ihr Programm abziehen – sprich: es gibt sexuelle Handlungen und der Freier bezahlt. Wenn es schlecht geht, dann ist der Freier der Meinung, er könne für das Honorar alles mögliche einfordern, bzw. mit der Hure machen. Auch das kommt vor.
Aber in Läden wie den beworbenen kommt so etwas selten vor, weil sie einen Schutzraum darstellen. Schon deshalb sollten Betreiber (eigentlich Betreiberinnen, denn in Berlin führen sehr oft ehemalige Prostituierte die Etablissements) nicht so ohne weiteres in die Ausbeuterecke gestellt werden. Die Frauen arbeiten dort zudem zu fairen Bedingungen und bekommen Werbung, Sicherheit, Gruppenzusammenhalt und Austausch, Sauberkeit und Komfort.
Maxi ist die Betreiberin des Liberty. Ich lernte sie vor drei Jahren kennen, als ich beim Bundesverband sexueller Dienstleister über behinderte Kunden sprach. Am Ende des Abends redete ich von meiner Vision des barrierefreien Puffs.
Ende letzten Jahres lud sie mich ein, die bauliche Erweiterung ihres Etablissements in Bezug auf Barrierefreiheit zu begutachten. Ich konnte es kaum glauben: Meine Vision war Wirklichkeit geworden!
Einige der neuen Zimmer haben deutlich mehr Fläche als das für derartig genutzte Räume üblich ist. Es gibt ein Bad mit unterfahrbarem Waschbecken, einer Rollstuhltoilette und einer breiten Dusche, für die ein Duschstuhl vorhanden ist. Besonderes Ausstattungshighlight ist der elektrische Wannenlifter für den Whirlpool. Einziger Wermutstropfen ist der eng bemessene Aufzug aus den 70ern. Ein E-Rollstuhl von mehr als 1,20 m Länge dürfte zu groß für ihn sein. Maxi hat selbst als Prostituierte gearbeitet und hatte auch viele behinderte Gäste. Heute
bringt sie als Chefin dieses Thema bei den Frauen an. Sie weiß, dass Barrieren nicht nur baulicher Natur sind. Viele Prostituierte haben, wie andere auch, Berührungsängste gegenüber stark von den üblichen Normen abweichenden
Körpern.
„Prostitution kann nur unter menschenwürdigen Bedingungen ausgeübt werden, wenn die Frauen auch Gäste ablehnen können“, sagt sie. „Doch die meisten Frauen hier sind offen für jeden Gast und haben diese Barrieren nicht.“ Ein barrierefreies Bordell ist natürlich auch für Dienstleisterinnen im Rollstuhl interessant.
Ich kannte mal eine, die hat in ihrer privaten Hochhauswohnung vor sich hin gewerkelt. Wenn es das Liberty damals schon gegeben hätte, wäre sie vielleicht auswärts arbeiten gegangen. Liberty heißt Freiheit. Natürlich ist das Marketing und man soll dabei an sexuelle Freiheit denken. Jetzt kann auch noch Barrierefreiheit damit assoziiert werden. Geil!

P. R. Iapos

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