FAQ – Freakquently Asked Questions

Ich hatte dich gar nicht bemerkt. Wie du da am Nebentisch gesessen hast und mich „schon seit Stunden beobachtet“ hattest. So sagtest du jedenfalls, als du an meinen Tisch kamst.
Inga, Theo und ich wollten eigentlich gleich gehen. Es war spät geworden, wir waren der letzte Rest der Gruppe, der nach dem Vortrag noch ins Morgenrot gegangen war. Das Morgenrot ist eine linke Kneipe im Prenzlauer Berg. Studis und linke Intellektuelle trinken hier ihr Bier, seit einiger Zeit kommen auch immer mehr Touristen auf der Suche nach einer „authentischen Berliner Szenekneipe“.
du warst so Anfang oder Mitte Dreißig, dunkle Haare, Geheimratsecken. Ob du mich mal etwas Persönliches fragen dürftest, fragtest du mich. Ich ahnte, worauf das hinauslief. Nach „etwas Persönlichem“ werde ich oft gefragt. Selten will dann jemand wissen, ob wir uns zufällig schon mal getroffen hätten oder wo ich denn meinen coolen Mantel herhabe. Mit dem „Persönlichen“ ist immer das Offensichtliche gemeint: Meine Behinderung. Nur darüber wollen die Leute mehr wissen.
Auch, als du mir deine „Persönliche Frage“ ankündigtest, rollte ich innerlich schon mit den Augen. Habe ich ein Schild auf der Stirn auf dem steht „Mobiles Auskunftsbüro zum Thema Kleinwuchs und Rollstuhl“? Oder eins mit der Aufschrift: „Krummer Rücken, krumme Beine – fragen Sie die hier, wenn Sie ihrem Voyeurismus einfach mal nachgeben wollen“?
Natürlich war dergleichen nicht auf meiner Stirn zu lesen. Deswegen hätte es ja auch sein können, dass du einfach nur eine Info über die Herkunft meiner DocMartens-Stiefel in Kindergröße haben wolltest. Oder wissen wolltest, ob man meine Rolli-Räder im Winter mit Spikes optimieren könne. Also sagte ich: „Ja… okay, kannste fragen…Kommt halt darauf an, worum‘s geht.“ Natürlich wolltest du wissen, welche Behinderung ich habe.
He, unbekannter Kneipengast – wenn ich dich schon ein Weilchen kennen würde und du mich, wenn du auch nur einen Hauch von meinen Macken, Lieblingsfilmen, Essgewohnheiten oder Ansichten wüsstest, wenn wir einander eben keine Unbekannten wären – würde ich dir gern davon erzählen. Von mir aus auch von DNA-Strukturen, Gen-Defekten und Kollagen-Schäden reden. Vielleicht sogar von Krankenhäusern, Physiotherapie und Chirurgie erzählen. dich aber kenne ich seit gerade Mal 120 Sekunden. Ich konnte dir gerade noch die Gegenfragte stellen: „Warum willst du das wissen?“
Du spekuliertest schon den ganzen Abend, ob ich wohl die Glasknochenkrankheit habe, sagtest du. „Shit, Treffer versenkt“, dachte ich. Warum gibt es nur so viele B-Promis mit meiner Behinderung? Frederik vom Marienhof, den Schauspieler Peter Radtke, Raul Krauthausen von Radio Fritz und Jazzlegende Michel Petrucciani. Ich überlegte hektisch: Tatsachen leugnen, Frage abbügeln oder drauf eingehen? Ich war natürlich wieder zu nett und bejahte deine Frage. „Ah ja, das ist ja hochinteressant!“ fandest du, er hätte ja diesen Michel Petrucciani im Fernsehen gesehen, wie er da immer zu seinem Klavier getragen wurde und schließlich dann an seiner Behinderung gestorben sei.
Verdammt, jetzt hattest du mich mitten ins Gespräch hineingezogen. Wenn ich etwas hasse, dann eine falsche Dramatisierung von Behinderung, eine sensationsheischende Überhöhung des Leidens – und vor allem, immer die immer gleichen Gespräche darüber führen zu müssen. „Moment mal, Petrucciani ist noch immer selbst zu seinem Klavier gelaufen, und gestorben ist er nicht an der Glasknochenkrankheit, sondern an einer Lungenentzündung!“, sagte ich und fragte dich nochmal: „Warum willst du das wissen?“ Du sagtest: „Wenn ich eine Frage habe, muss sie einfach raus!“. „Aber wie fändest DU das denn, wenn ich dich auf irgendwelche Körpermerkmale ansprechen würde? Würde dir das nicht auch irgendwie ganz schön privat vorkommen?“ Du verstandest meine Frage nicht.
Inga schaltete sich ein: „Stell dir vor, ich komm an deinen Tisch in der Kneipe und sagte: Hey, darf ich dich mal was Persönliches fragen? Wieso hast du eigentlich so einen krassen Haarausfall?“. „Naja, das ist halt mein Testosteron!“, rechtfertigtest du dich stolz.
So ging es ein paar Mal hin und her. Um das Behauptungs- Ping- Pong zu beenden, fragte ich dich ein letztes Mal: „Was ich immer noch nicht verstanden habe: Warum willst du das eigentlich so dringend wissen? Willste vielleicht auch noch Blutgruppe und Cholesterinwerte von mir haben?“ Wahrscheinlich hattest du gehofft, ich würde dir unter Tränen berichten, wie schlimm das alles mit der Glasknochenkrankheit sei – und du hättest dann wahres Mitgefühl zeigen und dich danach erhaben und irgendwie so echt und lebendig fühlen können.
deine Antwort bliebst du mir schuldig. du hattest dich gerade in eine zweite Diskussion mit Inga verwickeln lassen. Sie sagte was von „Rebecca hat auch mal Feierabend“ und „soll sie jetzt um 23.30 Uhr noch den Leuten was über Behinderung beibringen?“. Schließlich schaltete sich auch noch Theo in die Debatte ein. Theo ist schlau, aber sehr jung und sieht dabei noch jünger aus, als er ist. Du fuhrst ihn an: „Halt den Mund, du verstehst das nicht, dafür bist du noch zu jung“. Das reichte. Wir standen auf und gingen.
„Warum ich dich das frage? Weil ich Anstand habe! Im Gegensatz zu deinen Freunden hier“, riefst du mir zum Abschied hinterher. Aha, Anstand. Ach, unbekannter Kneipengast, du bist ein hoffnungsloser Fall von alkoholbedingter Gehirnschmelze. Darüber hab ich schon viel im Fernsehen gesehen. Das Endstadium ist grausam. Aber ich fühle mit dir.
Trotzdem werde ich zum Schutz vor Menschen mit deinem schweren Schicksal die nächste „persönliche Frage“ endlich einmal von vornherein abwimmeln: „Entschuldigung, auch wenn Sie es nicht bemerken – Sie betreten gerade mein Privatgelände. Und das gehört mir“.

von Rebecca Maskos

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