Krüppel aus dem Sack

Es gibt ja viele Arten, Lust zu empfinden und sich somit des Seins zu gewärtigen. Natürlich kann man sich auch mit dem Hammer auf den Daumen klopfen, um sich zu versichern, dass man noch in der Welt ist. Doch die Lust ist im Allgemeinen das probatere Mittel der Schöpfung, uns im Diesseits zu halten. Mit einem herrlichen Geschmack oder schmelzendem Vogelgezwitscher, einem berückenden Bergpanorama oder dem Geruch der Liebsten, wenn sie in Wallungen gerät, erreicht uns die Botschaft: „Schön, dass es Dich gibt“.

Nun hat unsere Kultur eine breite Strömung, die Behinderten sagt: „Besser, es gäbe euch nicht!“ Mehr als zweihundertJahre wurden sie in Sondereinrichtungen interniert. Und daswar zunächst sogar ein Fortschritt, denn ohne Heim mussten
die Krüppel betteln oder fristeten gar in einem Verschlag im Stall neben den Schweinen ihr Dasein. In den Heimen gabs nicht nur fade Anstaltskost und einen reizarmen Alltag, bald wurden im Namen der Volksgesundheit Sterilisation und sogar Kastration der Insaßen Praxis. Wer zum Abfall gehörte, musste Sinnlichkeit entbehren und wurde von der Fortpflanzung ausgeschlossen. Unter den Nazis machte man Behinderten dann nicht nur deutlich, dass es besser wäre, es gäbe sie
nicht, man ermordete sie tatsächlich.

Natürlich hat unsere Kultur auch andere Dynamiken und so konnten sich
Behinderte durchaus an Vogelgezwitscher und Blumenpracht delektieren,
am Vögeln allerdings kaum. Doch auch das ändert sich. Behinderung und Sexualität ist ein Thema, das immer mehr Raum einnimmt. Nicht zuletzt deshalb gibts diese Kolumne.

Verhaltensbiologen sind der Meinung, die schönen Gefühle beim Sex wären nur dafür da, um uns für die an sich gefährliche und mühevolle Arbeit der Fortpflanzung zu motivieren. Jetzt, da dank der Biotechnologien Sex und Fortpflanzung immer mehr entkoppelt werden, dürfen auch Behinderte ein bisschen rummachen. Krüppel aus dem Sack, resp. Eileiter, soll es in Zukunft aber nicht mehr geben. Im besten Fall erfolgt die Verhinderung von Behinderung durch einen Gencheck der potenziellen Eltern. Zeigt sich, dass der Nachwuchs mit deutlichen Mängeln zur Welt kommen könnte, wird von vornherein auf eine Zeugung verzichtet. Da muss sich gegebenenfalls der Mutterinstinkt einen anderen Beschäler suchen, um zum Zuge zu kommen. Im weniger günstigen Fall hat schon eine Zeugung stattgefunden. Nun zeigt die Fruchtwasseruntersuchung das Risiko einer Behinderung an. Da muss eben abgetrieben werden. Das ist im Falle einer Behinderung noch bis kurz vor der Geburt möglich. Im ungünstigsten Fall wird auch noch nach der Geburt der Himmel regresspflichtiggemacht. Behinderte Babys, die nur mit medizinischer Hilfe überleben würden, bekommen diese gar nicht erst, wenn die Eltern das nicht wünschen. Und es gibt ernstzunehmende Stimmen, die fordern, dass Ärzte
die Folgen solcher Fehlpaarungen auch aktiv töten dürfen.

Schon vor Jahren sagte eine Gynäkologin in einem Interview: „Nennen Sie mir eine Behinderung, mit der Sie leben möchten“, um die eugenische Indikation für Abtreibungen zu rechtfertigen. Offenbar scheint das Leben von immer mehr Menschen für einen Supermarkt gehalten zu werden, in dem man sich die geeigneten Umstände aussuchen kann. Ich hätte die Ärztin gern gefragt, ob es eine Behinderung gibt, mit der man nicht leben kann.

Es herrscht Einigkeit darüber, dass jede ausgestorbene Haustierrasse ein enormer Verlust für den Genpool unseres Planeten darstellt. Evolutionsgenetiker sind sich mittlerweise sicher,dass vererbbare Krankheiten für die Fortentwicklung der gesamten Art von großer Wichtigkeit sind. Was wissen wir, was mit der Spezies Mensch geschieht, wenn bei der nächsten Hochschulreform das Gen, das Einzelne zu Migränikern macht, für die Gesamtheit nicht mehr verfügbar ist? Oder das Gen, welches Muskelschwund auslöst, hätte Menschen hervorgebracht, die besser an die Bedingungen des veränderten Erdklimas angepasst wären, aber es gibt ja keine Träger dieses Gens mehr.

Wir Behinderten dürfen uns im Interesse der Menschheit nicht aus dem Genpool drängen lassen. Ohne uns wäre sie gar nicht erst dahin gekommen, wo sie jetzt ist. Neueste Ausgrabungen haben ergeben, dass die bedeutendste Erfindung, die Grundlage jeglicher Technologie, das Rad, nicht etwa entwickelt wurde, als zum Transport der riesigen Steinquader für die Pyramiden Baumstämme als Rollen daruntergeschoben wurden. Vielmehr hat es ein genialer mesopotamischer Gehunfähiger ersonnen, um seinen Stuhl rollbar zu machen. Undwarum kam er überhaupt auf die Idee? Um durch die schöne Welt zu rollen und sich an ihr zu laben. Delektion statt Selektion!

P.R.Iapos

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