Stehparties finde ich öde. Dauernd gucke ich auf die Ärsche von irgendwelchen Leuten. Ab und zu erbarmt sich jemand und hockt sich hin, denn auch mit Rollifahrerinnen will man auf Augenhöhe reden. Ich finde das immer sehr nett, aber auch bedauerlich, wenn die Leute sich dabei ihre Knie kaputt hocken. Irgendwann müssen sie wieder hoch und oft entschuldigen sie sich dafür. Dabei können
sie ja nichts dafür, dass Stehen so angesagt ist.
Die Ideologie des Stehens scheint die einer uneingeschränkten Flexibilität und Kommunikativität zu sein. Jeden nervigen Small-Talk-Partner auf einer Stehparty kann man ohne Federlesen abschütteln, denn man muss ja nur einen kleinen Schritt weiter gehen, mal eben was vom Buffet angeln. Ist längst nicht so umständlich, wie vom Tisch aufzustehen und sich dabei auch noch förmlich verabschieden
zu müssen. Sich in der stehenden Menge zu tummeln ist eben irgendwie dynamisch.
Wer steht, kann schneller wieder gehen. Besitzer von Currywurstbuden und anderen Schnellimbissen wissen das und schätzen den Vorteil von Stehtischen. Schneller als sie gucken können haben ihre Kunden die Ansammlung
von gesättigten Fettsäuren in sich hineingeschaufelt und räumen den Tisch für die nächsten Gäste. Lange herumzustehen wäre zu anstrengend. Die Vertreibung des
Hungergefühls als notwendiges körperliches Übel ist zeiteffektiv abgehakt.
Im Rolli zu sitzen bereitet für Normalstehende überraschende Perspektiven. Beim Dönerverzehr sehe ich die Preisschilder auf den Unterseiten der Stehtische und die
angeklebten Kaugummis. Auch wenn Paul Watzlawick behauptet, man könne
nicht nicht-kommunizieren – mit dem Döner zwischen den Zähnen und dem Gesprächspartner einen Meter höher an den Döner-Stehtisch gelehnt führen Rollifahrer im Stehimbiss eine zeitweilige Parallelexistenz. Dessen ungeachtet bleibt Stehen im Trend. Die Dauer der standig ovations bei Filmpreisverleihungen und Parteitagen hat exorbitant zugenommen, behauptete zumindest das Magazin
„Neon“ bereits im Jahr 2006. Und seit einigen Jahren haben auch Unternehmen den Zauber des Stehens für sich entdeckt. Stehungen ersetzen in einigen Büros längst die lästigen Sitzungen. Statt sich mit einem Kaffee auf dem Konferenztisch ausgiebig an strittigen Themen festzubeißen werden bei den Stehungen Nägel mit
Köpfen gemacht. Stehungen sind was für Entscheider, für Leute die drive haben und sich ihren workflow nicht von unnötigen Sitzblockaden verpfuschen lassen wollen. Unternehmensberatungen haben das schon lange erkannt.
Auch an meinem Arbeitsplatz stehen seit einem halben Jahr hohe Tische für die Stehungen auf in den Großraumbüros, den Teamflächen. Anfangs dachte ich noch, ich komme irgendwie um die Stehungen herum, zu sehr erinnerte mich das ganze an mein Dönerbudentrauma. Doch es hilft nichts, auch ich muss ran, quasi als Stimme aus dem Off. Wenn ich was sagen will, muss ich winken oder laut rufen. Sonst kriegen es die Kollegen drei Meter weiter und einen Meter höher
nicht mit. Sehen können sie mich sowieso nicht – macht nichts, ich sehe sie ja auch nicht. Nette Kollegen kehren mittlerweile wieder zur anachronistischen Sitzung zurück, wenn ich dabei bin. Und vielleicht gibt es bald auch Barhocker für diejenigen, die Knieschäden von einer Plauderei in der Hocke mit mir davongetragen haben. Nicht, dass es meine Absicht wäre, einen
Sitzstreik anzuzetteln oder den Fortschritt auszuangeklebten bremsen, aber – ich bleib sitzen.